Kapitel 1
Erzählt von Harry Potter:
Jetzt, wo ich den Zug besteige, fühle ich mich unwohl, wenn ich an das Kommende denke. Ein weiterer Sommer in der Hölle mit den Dursleys. Furchtsam frage ich mich, wo sie mich diesmal hinstecken werden - da sie mir im letzten Sommer Hedwig gestohlen und mich im Keller eingeschlossen haben. Dieser pechschwarze, äußerst feuchte Keller mit einem ernsthaften Rattenproblem. Im letzten Sommer, in dem ich nur die Reste ihres Abendessens zu essen bekam und nur das sehr fragwürdige Wasser aus einem Wasserhahn in einer Ecke zu trinken hatte, hatte ich mich wirklich gefragt, ob ich überleben würde.
Ich wäre wohl noch viel schlechter herausgekommen, wenn Snape nicht auf Dumbledores Wunsch hin gekommen wäre, um mich nach Hogwarts zu holen (da Sirius mich besuchen wollte). Nie zuvor war ich so glücklich, den alten bösen Snape in seinem dramatischen, schwarzen Umhang und mit seinen fettigen Haaren zu sehen, wie damals. Wenn ich zurückdenke, glaube ich, dass ich ihn sogar umarmt habe - bevor ich ohnmächtig wurde, heißt das. Als ich wieder aufwachte, war ich im Krankenflügel und wurde wegen Unterernährung behandelt. Dumbledore war damals nicht sehr zufrieden mit den Dursleys.
Hier bin ich jedenfalls, stehe in Hogsmeade, bereit den Zug zu besteigen und zurückzufahren zu Onkel Vernon und dem Rest meiner wundervollen Verwandtschaft. Ich fühle mich müde und nicht gerade wenig negativ. Ich meine, ich habe gerade ein weiteres Jahr unter der Bedrohung durch Voldemort verlebt, einem wiederauferstandenen noch dazu. Man könnte denken, dass dies nun der beste Teil des Jahres werden sollte. Stattdessen ist es schlimmer als ein Zusammentreffen mit Voldemort. Schließlich ist alles was er will, mich umbringen und mich vorher vielleicht noch ein bisschen quälen. Die Dursleys würden es vorziehen, mich in eine stinkende Grube zu schmeißen und die Welt mich vergessen lassen. Und sie haben es sicher versucht.
Mit einem Seufzer wuchte ich meinen Schrankkoffer an Bord des Zuges und mache mich daran selber einzusteigen. Wie dem auch sei, dies ist ganz offensichtlich nicht meine Bestimmung, denn eine starke Hand ergreift meinen Arm, zieht mich zurück und eine andere Hand stellt meinen Schrankkoffer zurück auf den Bahnsteig.
"Und wohin, meinst du, gehst du?", fragt eine leise, allzu gefährliche Stimme, die meinem nur allzu verachteten Zaubertränkelehrer gehört.
Ich schlucke, drehe mich um und sehe mich dem dunklen, und sehr grantigen Todesser-Spion gegenüber.
"Zu den Dursleys?", sage ich mit soviel Mut, wie ich gerade noch aufbringen kann.
Eine der dunklen Augenbrauen verschwindet hinter dem Vorhang aus fettigem schwarzem Haar, der immer in seinem Gesicht hängt.
"Nein, wirst du nicht", sagt er einfach. "Oder möchtest du gerne wieder dorthin zurück und im Keller leben?"
Ich schüttle meinen Kopf. Welcher normale Mensch würde schon in einem dreckigen, feuchten, dunklen, kalten und rattenverseuchten Keller leben wollen? Irgendjemand vielleicht, aber ich mit Sicherheit nicht.
"Gut", nickt Snape, während er seinen Zauberstab ergreift. "Mobiliarbus."
Mein Schrankkoffer erhebt sich von allein in die Luft, wie von unsichtbaren Fäden gezogen. Dann beginnt Snape uns hoch nach Hogwarts zu schleppen. Meinen treuen Schrankkoffer und mich. Und wir sind beide gründlich verwirrt über die neue Wendung der Ereignisse.
*****
In dem Moment, in dem wir innerhalb der Mauern von Hogwarts sind, lässt Snape von mir und meinem Schrankkoffer ab. In der nächsten Sekunde schreitet er einen der vielen Korridore hinab und lässt mich äußerst verwirrt allein.
"Ok ," murmle ich vor mich hin. "Was nun?"
Ich zucke die Achseln und entscheide, mich einfach auf meinen Schrankkoffer zu setzen und darauf zu warten, dass irgendetwas passiert. Im Normalfall würde ich nach Dobby und seinen Freunden rufen und sie bitten, meinen Schrankkoffer in mein Zimmer im Gryffindorturm zu bringen, aber dies ist kein Normalfall. Es ist unüblich einen Schüler den Sommer über in Hogwarts bleiben zu lassen und ich weiß nicht, was ich tun soll.
Gelangweilt starre ich die komplizierten Muster der reich verzierten Türen vor mir an. Soweit ich sagen kann, sind 39 Rosen auf ihnen. 45 Minuten später weiß ich auch noch, dass 205 Hummeln darauf versteckt sind. Ich bin gerade dabei anzufangen, die Rosensträucher zu zählen, als ich Schritte höre, die sich mir nähern.
Erleichtert, dass endlich jemand kommt, stehe ich auf und drehe mich in Richtung der Geräusche. Ich weiß wirklich nicht, was ich zu sehen erwartet habe, aber jedenfalls nicht einen frisch geduschten Snape mit nun nicht mehr fettigem Haar, das er zu einem Pferdeschwanz gebunden hat und der nun Muggelhosen, ein enges schwarzes T-Shirt und eine offene Robe trägt. Das muss eine Illusion sein.
"Hör auf zu starren, Potter!"
Ich beschließe, dass es andererseits vielleicht keine ist. In der einen Hand trägt er einen schnittigen schwarzen Besen und hinter ihm folgt ihm ein Schrankkoffer, hochgehalten durch die Magie seines Zauberstabes. Anscheinend reist er gerade ab und nur die Götter wissen wohin.
"Na los, komm schon Potter," sagt er. "Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit."
Und ich augenscheinlich auch bald. Das muss der seltsamste Tag aller Zeiten sein. Seinem Beispiel folgend greife ich nach meinem Zauberstab und murmele den entsprechenden Spruch, damit mein Koffer mir wie ein Hündchen folgt. Wie es scheint, gehe ich diesen Sommer mit Snape und es hätte wirklich schlimmer sein können.
Nun, draußen hat Snape seinen Besen bestiegen und wartet ungeduldig auf mich. Ich entscheide mich ihn nicht noch grantiger zu machen, tue dasselbe wie er und schaue ihn erwartungsvoll an.
"Wohin nun, Sir?", frage ich, wobei ich die förmliche Anrede benutzte, weil ich immer noch nicht weiß, woran ich bei ihm bin.
Da ist einerseits meine grantige, schlecht gelaunte Nervensäge von einem Zaubertränkeprofessor und andererseits der Mann, der mich von den Dursleys gerettet hat und der in seiner Freizeit Muggelkleidung trägt. Wie auch immer, offensichtlich gefällt es ihm nicht besonders, denn er blickt mich finster, beinahe wütend an.
"Wir fliegen zu meinem Landhaus", klärt er mich mit sarkastischem Unterton in seiner Stimme auf. "Und es heißt Severus oder Sev."
Haben meine Ohren das gerade gehört? Ich bin mehr als verwirrt. Hat Snape mir gerade erlaubt, ihn bei seinem Vornamen zu nennen? Sogar bei seinem Kosenamen? Ich glaube die Welt geht unter. Aber ich habe keine Zeit noch länger darüber nachzudenken, denn Snape - nein, Severus - stösst sich ab und zwingt mich so, ihm zu folgen. Noch immer rasen die Gedanken in meinem Kopf. Sev? Landhaus? Diese Seite habe ich nie an Severus gesehen. Trotzdem kann ich schon jetzt sagen, dass ich sie mag.
Erzählt von Severus Snape
Beim Gedanken daran, was Harry letzten Sommer und wahrscheinlich all die anderen Sommer und Jahre, die er bei den Dursleys verbracht hat, ertragen musste, rase ich noch immer vor Wut. Wie kann jemand so etwas einem Kind antun, ganz zu schweigen davon einem Verwandten? Andererseits, wer bin ich so was zu verurteilen, ich Todesser. Oder Ex-Todesser. Ich habe Kinder getötet, gequält, mich an ihren Schmerzen vergnügt. Sogar mein eigenes....
Ich schüttele diese Gedanken aus meinem Kopf. Es nicht nötig jetzt in Schuldgefühle zu verfallen. Alles ist so wie es ist schon hart genug. Ich meine, guck dir mal die momentane Situation an! Ich fliege ein paar Kilometer über der Erde - hoch genug, dass Muggel uns nicht entdecken können und tief genug, dass wir nicht mit einem Flugzeug zusammenstoßen. Der Jugendliche den ich, praktisch seit ich ihn das erste Mal traf, schikaniere, folgt mir dicht auf den Fersen und versucht sich wahrscheinlich vorzustellen, warum ich plötzlich so nett zu ihm bin. Dann ist da die Tatsache, dass wir zu meinem Landhaus reisen, wohin ich seit jenem Tag niemanden mehr mit hingenommen habe, nachdem ich zum ersten Mal seit Gott-weiß-wann geduscht habe. Dann haben wir da die Tatsache, dass Sirius Black und sein Werwolffreund Remus stinksauer auf mich sein werden, wenn sie das alles herausfinden. Na gut, Remus Lupin vielleicht nicht, er war immer der feinfühligere von ihnen, aber kann man das hier noch als seltsame Situation bezeichnen? Nimmt man noch die Tatsache hinzu, dass der Junge von Voldemort anvisiert wird, denjenigen, für den ich arbeite, dann hat man einen Riesenschlamassel. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Ich blicke zurück zu dem Jungen, der links hinter mir fliegt. Es ist 15 Jahre alt und gerade mal 159 cm groß. Und keiner seiner Eltern war sehr klein. Meine Vermutung ist, dass eine ungesunde Lebensweise seinen Wachstumsprozess behindert hat. Wie dem auch sei, ich werde das sicher in Ordnung bringen. Ein 'Stell-dein-Wachstum-wieder-her-Trank' und ein gesundes Leben über den Sommer werden es schon richten.
Harry Potter, der Junge der lebt. Weltberühmt dafür, dass Voldemort dabei versagte, ihn zu töten und dabei sogar seine Kräfte verlor. Harry verlor seine Eltern und das tut mir leid, auch wenn ich sie nicht besonders mochte. Kein Kind sollte so etwas ertragen müssen - ich sollte das wissen.
Er ist so blass. Beinahe kränklich. Andererseits, wer würde das nicht sein, nachdem er all das ertragen hat, was Harry sein ganzes Leben lang ertrug. Ich würde - wenn ich nicht die Möchtegern-goldene Haut (wenn ich mehr Sonne hätte, wäre sie so) meiner Mutter geerbt hätte. Anstelle dessen bin ich blassgelb. Es ist so seltsam, dass wir uns in vielen Dingen so ähneln, ich es aber bis jetzt nie realisiert habe.
Oh, Scheiße! Da ist dieser verdammte Berggipfel. Man sollte meinen, ich würde ihn umfliegen und nicht jedes Mal wenn ich heimfliege beinahe dagegen knallen. Aber NEIN! Severus Snape, Zaubertränkelehrer und Ex-Jäger in Slytherin's Quidditchteam kriegt es jedes Mal nur gerade eben fertig, heil an einem Berg vorbeizukommen. Als ich zu Harry zurückblicke, kann ich dazu noch sehen, wie er geschickt an dem Berg vorbeikommt und versucht nicht zu lachen.
Dafür lache ich mich kaputt; Lächeln, zum ersten Mal seit Jahren, zum ersten Mal seit über einem Jahrzehnt Lachen. Und so fordere ich Harry auf, dasselbe zu tun. Es muss das erste Mal sein, dass jeder von uns dem anderen gegenüber völlig ungezwungen ist.
"Wie kannst du einen Berg übersehen, Severus?", prustet Harry, als er wieder Luft in seine Lungen bekommt.
Da muß ich ihm allerdings zustimmen. "Ich habe keine Ahnung", lächele ich zögernd. "Ich übersehe ihn jedes Mal, wenn ich hierher komme. Ich schwöre dir, er ist verhext."
Das führt dazu, dass Harry sich noch mehr kaputtlacht. Wie auch immer, es wird allmählich dunkel und wir haben sicher nicht die Zeit, den ganzen Abend um eine Bergkuppe zu schweben und zu lachen. Deshalb setzte ich meinen besten "Ich-bin-ein-böser-alter-Bastard-und-ich-kann-dich-mit-einem-Blick-töten"-Gesichtsausruck auf und funkele ihn an.
"So sehr es mir gefällt dich auf meine Kosten lachen zu sehen, Potter," sage ich so grossartig wie ich kann, "ich möchte nach Hause kommen, bevor es dunkel ist."
Er verstummt rasch, aber ich habe dabei das Glitzern in seinen Augen nicht übersehen. Den Rest des Weges ist die Stimmung zwischen uns sehr viel entspannter.
Mein "Landhaus" ist ein einfaches zweigeschossiges Haus in einer einsamen Gegend in den Bergen von Wales und es ist schon seit Jahrhunderten im Besitz meiner Familie. Anfangs war es eine einfache Jagdhütte, nun ist es mein Zuhause. Aus natürlichem Holz gebaut und an einem kleinen Fluß gelegen, ist es ein wundervoller Ort zum Leben, wenn man ein friedliches und schönes Zuhause haben will. Im Sommer umgibt es ein wundervoller Garten mit Blumen in allen nur erdenklichen Farben, die die Luft mit himmlischen Düften erfüllen. Und um ehrlich zu sein, ich liebe es.
Als wir landen ist es allerdings dunkel und wir können die Schönheit des Ortes nicht sehen. Außerdem sind Harry und ich total erledigt. Deshalb entscheide ich, dass wir einfach ins Bett gehen, um etwas Schlaf zu bekommen. Was angesichts der Art, wie Harry hinter mir herstolpert eine weise Entscheidung ist.
Leicht lächelnd flüstere ich ein sanftes "Alohomora" um die Tür zu öffnen und in die Wärme meines Heimes zu treten. Ausnahmsweise überkommen mich nicht die Bilder der Vergangenheit, sondern ich beschäftige mich nur mit dem sehr schläfrigen Fünfzehnjährigen, der mir hinterher taumelt.
Ich sorge dafür, dass er seinen Koffer loslässt und führe ihn in eines der Schlafzimmer, dasjenige, welches einst meiner geliebten Alisha gehörte. Er fällt prompt auf das Bett und schläft ein, sobald sein Kopf das Kissen berührt und überlässt es mir ihn zuzudecken, verfolgt von den Erinnerungen, als ich dasselbe für ein anderes Kind tat. Ein dunkelblondes kleines Mädchen mit den blauesten Augen der Welt. Meine Tochter Alisha. Das zweite Opfer meiner Hände in meinen Diensten für Voldemort.
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