Gemeinsam Einsam

 

 

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Kapitel 7: Eingeständnisse 

 



~*~

Ich fürchte die Zeit danach.

Nach dem finalen Kampf?

Ja, nachdem alles entschieden ist.

Ist es nicht das was wir alle wollen?

Ich weiß nicht. Ich fürchte mich davor.

Warum?

Weil ich dann keinen Grund mehr zum Leben habe.

~*~


Severus erhob sich langsam. Die unheimliche Stille war ungebrochen. Noch immer hatten die beiden Männer kein einziges Wort gewechselt.

Der Zaubertränkemeister hatte sich mittlerweile wieder zum Rand der Plattform begeben und stand mit verschränkten Armen vor dem Abgrund. Seine Haltung war steif und unpersönlich. Eine lebendige Statue. Nicht zum ersten Mal fragte sich Sirius, ob dieser Mann überhaupt lebendig war. Und doch wusste er, dass dies nur ein Trugschluss war. Eine Illusion, die Severus um sich herum aufgebaut hatte, um all die negativen Einflüsse auszuschließen. Es war eine Maske, die er sich zugelegt hatte, damit er nicht an seinen Tätigkeiten zerbrach. Die Welt war grausam. Keiner wusste das besser als Sirius, und doch schien dem Animagus sein eigenes Schicksal weitaus angenehmer, als das Erahnte des Zaubertränkemeisters. Wie musste es wohl sein, nicht zu wissen, wofür man lebte? Benutzt zu werden? Dinge tun zu müssen, die sich der Menschlichkeit weit entzogen?

Sirius biss sich leicht auf die Lippen. Noch immer schmeckte er den leicht süßlichen Geschmack des anderen Mannes. Seine Lippen brannten. Diese bitter süße Tat war nicht vergessen, würde es wahrscheinlich nie werden. Sie hatten sich geküsst. Nicht wie Freunde, nicht wie Liebende, nicht wie Feinde. Sondern wie Ertrinkende. Verzweifelt nach dem letzten Strohhalm greifend. Dieser beinahe scheue Kuss, war mehr als nur ein sich ausdrückendes Gefühl. Es lag Schmerz, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit darin wie zäher Sirup. Und doch war es eine Erfahrung, die Sirius nicht missen wollen würde. Verträumt sah er in Richtung des Zaubertränkemeisters.

Das dunkelschwarze Haar, das sich wild dem Wind ergab, obwohl kein Hauch eines Lüftchens wehte. Die schmale, von dunkler Robe verborgene Gestalt, die sich nur wiederwillig gegen den Stoff abzeichnete. Sirius wurde schmerzlich bewusst, dass er diesen Körper wollte, ihn besitzen wollte, ihn gänzlich in sich aufsaugen wollte. Er wollte seine Hände über die blasse Haut gleiten lassen. Und doch würde es nie soweit kommen. Er wusste einfach, dass er dieses Recht schon vor langer Zeit verwirkt hatte. Ironie des Schicksals? Gerade den Menschen zu begehren, den man abgrundtief hasste?

"Ich wusste von dem Angriff auf James und Lily", erklang die dumpfe Stimme von Severus durch die unheimliche Stille. "Ich hätte sie retten können. Jedenfalls nehme ich das an. Wenn ich früher zu Albus gegangen wäre ...." Seine Stimme war ruhig und beinahe gelassen. Schon fast kalt und herzlos. ‚Welche Schrecken hast du gesehen, die dein Herz dermaßen erkalten ließen', schoss es Sirius durch den Kopf.

"Ich wusste, dass sie keinerlei Chancen hatten den Angriff zu überleben. Und in gewisser Weise hoffte ich sogar, dass der Dunkle Lord ihn töten würde ..... Ich habe ihn wirklich von tiefstem Herzen gehasst. Ich denke, ich gab ihm die Schuld an meinem Leben." Noch immer stand Severus mit dem Rücken zu Sirius, so als ob er es nicht wagte, dem Animagus in die Augen zu blicken.

"Ich wollte, dass er stirbt. Dass er sich in schrecklichen Qualen windet und sein Leben auf die grausamste Art und Weise aushaucht. Und ich nahm es sogar in Kauf, dass Lily und Harry ebenfalls getötet werden sollten." Severus wandte den Kopf leicht zur Seite. Nur geringe Teile seines Gesichtes gaben die wehenden Haare preis. "Verstehst du? Ich zögerte. Zu lange. Viel zu lange. Deshalb klebt das Blut von James und Lily an meinen Händen." Mit jedem Wort wurde seine Stimme kälter, und Sirius' Körper überzog ein kalter Schauer.

"Und seither werde ich jedes Mal bei Harrys Anblick meiner Schuld gewahr. Sein Gesicht, seine Augen, sie ermahnen mich, klagen mich an. Ich habe seinen Vater und seine Mutter auf dem Gewissen." Severus wandte den Blick erneut nach vorne. "James war einer der Gründe, warum ich überhaupt ein Death Eater wurde. Ich wollte mich beweisen. Meinen Beitrag zum Kampf gegen Voldemort leisten. Ich wollte ihn übertrumpfen. Eine wichtigere Stellung als er einnehmen. Egoistisch wie ich war, dachte ich, es wäre so leicht, ein Spion zu sein. Ich dachte wirklich, ich könnte die Konsequenzen meines Handelns ertragen. Doch schlussendlich haben sie mich in den Abgrund geführt. Ich habe für meinen Stolz, für ein wenig Ruhm meine Menschlichkeit verloren. Ein Leben ist für mich nicht mehr wert als die Summe seines Ranges. Ich bin zu dem geworden, was ich eigentlich bekämpfen wollte. Zu einem gefühllosen, mordenden Monster. Und wenn dieser Kampf vorbei ist, wo werde ich dann stehen? Ich bin keiner der glorreichen Guten. Niemand der für seine Taten geehrt werden wird. Ich werde nur eine der vielen verpfuschten Existenzen sein, die ihren Lebensinhalt verloren haben werden. Es ist schon fast zum Lachen, wenn es nicht so pervers wäre." Ein zynisches Schnauben entrang sich seiner Kehle.

Sirius fand keine Worte angesichts dieses Geständnisses. Sein Herz pochte schmerzhaft in seiner Brust. ‚Er hätte sie retten können. Er hätte sie retten können. Er hätte ....' Immer und immer wieder jagten diese Worte durch seinen Verstand. Verkamen zu einer quälenden Litanei. Er konnte das Gefühlschaos in seinem Inneren nicht entwirren. Auf der einen Seite schürten diese Worte erneut den Hass auf den dunkelhaarigen Mann, auf der anderen Seite empfand er tiefstes Mitleid und auch Verständnis. Immer wieder tauchten weitere Erinnerungen an glücklichere Tage in seinem Geist auf. Lilys berühmtes Sonnenwend-Feier-Essen. Die langen Abende, die James, Remus und er damit verbracht hatten, sich über das letzte Quidditch-Spiel zu unterhalten. Die gemütlichen Abende die Sirius mit James, Lily und Harry damit zubrachte, einfach nur zu reden. Wie in einer glücklichen Familie. Und waren sie das nicht auch gewesen? Eine Familie? Es war eine trügerische Sicherheit gewesen, gekennzeichnet von Sorglosigkeit und Normalität. Wie sehr vermisste er diese Stunden. Wie sehr hasste er die Person, die ihm diese heile Welt genommen hatte. Wie sehr er Snape doch hasste.

Sirius erhob sich langsam, ballte seine Hände, sodass die Knöchel weiß hervortraten. Langsam schritt er auf den Zaubertränkemeister zu. Dieser hatte ihm immer noch den Rücken zugewandt. Sirius bemühte sich, möglichst nicht das geringste Geräusch von sich zu geben. Seine Wangen glühten. Aber nicht wie vor wenigen Minuten, aus sexueller Erregung, sondern diesmal aus blankem Hass. ‚Er hätte sie retten können. Er hätte sie retten können. Er hätte sie reTTEN KÖNNEN.....' Die Worte wollten und wollten nicht mehr verklingen. Sie schmerzten unsäglich ins einem gepeinigten Geist. Wurden mit jeder Wiederholung lauter und lauter. ‚ER HÄTTE SIE RETTEN KÖNNEN. ER HÄTTE SIE RETTEN KÖNNEN....' Die Stimme in seinem Geist schrie. Übertönte alle Warnungen, und Vernunftappelle.

Der Animagus stand nun direkt hinter Severus. Wie leicht es doch wäre. Er bräuchte ihm nur einen kleinen Schubs geben, und der Zaubertränkemeister würde in den Abgrund stürzen. Er würde einfach in der Dunkelheit verschwinden. Er bräuchte nur die Arme ausstrecken. Es wäre so einfach. So simpel. Er könnte ihn einfach töten. Er würde James rächen. Er würde Lily rächen. Er würde sich für Harry rächen. Niemand würde ihm einen Vorwurf machen. Er könnte sagen, es wäre ein Unfall gewesen. Severus wäre von den glitschigen Steinen abgerutscht und in die Tiefe gefallen. Niemand würde an seinen Worten zweifeln. Jeder würde ihm glauben. Ein ganz kleiner Schubs würde schon genügen. Nur soviel, dass Severus das Gleichgewicht verlieren würde. Er würde hier stehen bleiben, und zuhören, wie die gellenden Schreie von Severus verklingen würden. Er würde hier stehen, und horchen, wie dieser unheilige Körper unten auf die Erde aufkommen würde. Und er würde lächeln. Er würde lächeln, weil er sich gerächt hätte. Für all die Toten, all die Menschen, die viel zu früh den Tod fanden, nur weil es diesen Bastard gab. Sie würden ihn nicht verurteilen. Sie würden es verstehen. So simpel. So einfach.

Und doch tat er es nicht.

Stattdessen machte er einen Schritt rückwärts und blieb in sicherem Abstand hinter Severus stehen. Ein tiefes Seufzen entrang sich seiner Kehle.

"Wie soll ich dich denn noch reizen? Ich erzähle dir, dass ich deinen besten Freund auf dem Gewissen habe. Den Mann, den du wohl am meisten geliebt hast. Und nicht mal dann schaffst du es, mich umzubringen?" Schon fast höhnisch erklang die dumpfe Stimme von Severus.

In diesem Moment wurde Sirius mit schmerzender Klarheit bewusst, dass er beinahe auf die Charade von Severus reingefallen wäre. Wie leicht war er doch zum Narren zu halten.

"Du wolltest sie retten. Du hättest sie gerettet, wenn du gekonnt hättest." Auch wenn er nicht wusste woher, aber er fühlte, dass es die Wahrheit war. Severus hätte niemals seine Rachegelüste damit gestillt, dass er nur zugesehen hätte, wie der Dunkle Lord James und seine Familie umbrachte. Es erklärte sich so vieles von selbst. Severus war nicht nur das Monster, das er gerne repräsentierte, er war zerrüttet und seelisch am Ende. Nur noch ein Schatten seiner selbst. Unfähig, sich aus diesem Teufelskreis zu lösen, der um ihn errichtet worden war. Er wollte Absolution, er wollte Verständnis, aber vor allem wollte er ein Ende. Und er hatte sich Sirius ausgesucht das ausführende Organ zu sein.

Sirius machte einen weiteren Schritt rückwärts. "Auch wenn ich nur ein dummer gebrochener Mann bin. Und du glaubst du kannst mich benutzen. So einfach ist es dann doch wieder nicht. Ich kann dein Leid, deine Qual nicht nachvollziehen. Und ich will es auch gar nicht. Ich kann deinen Schmerz in deinen Augen sehen, wie er hinter deinen dunklen Augen brennt, dich von innen heraus vernichtet. Ich würde gerne deiner Bitte nachkommen, doch ich kann es nicht. Ich würde eine Schuld auf mich nehmen, an der ich zerbrechen würde." Der Animagus atmete tief ein. Die Worte waren einfach aus seinem Mund gesprudelt, ohne Nachdenken, ohne dass er sie bewusst beeinflussen hätte können. "In dieser Nacht habe ich zum ersten Mal den Menschen hinter dieser selbsterrichteten Fassade gesehen, und was ich gesehen habe, hat mir nicht gefallen. Ich sah einen sterbenden Menschen der zuviel Schuld auf sich geladen hat, als dass er noch weiter in diesem Dasein existieren könnte. Und doch empfinde ich eine gewisse Zuwendung zu diesem Menschen. Er ähnelt mir. Auch wenn ich es nie glauben mochte. Nur seine Qualen sind um ein vielfaches stärker, als die meinen. Severus, so gerne ich dir helfen wollte, ich kann es nicht. Würde ich es dennoch versuchen, wäre es auch mein Untergang." Sirius schluckte schwer. Zu hart waren diese Worte. Würde er verstehen? Würde Severus den wahren Gehalt erkennen? Der Animagus hoffte es.

Langsam drehte sich Sirius um und wandte sich dem Abgang der Plattform entgegen. Sein Herz fühlte sich schwer an. Er wollte nicht gehen. Er wollte Severus nicht einfach so allein lassen. Nicht hier, nicht jetzt. Trotzdem wusste er, dass dies die einzig richtige Entscheidung war. Schweren Schrittes ging er auf den Ausgang zu, als er abrupt von einer Hand zurückgehalten wurde.

Als Sirius sich umwandte, stand Severus vor ihm und sah ihn aus eigenartig sanftmütigen Augen an. "Zu einer anderen Zeit. An einem anderen Ort hätten wir womöglich ein gutes Paar abgegeben."

Die dunkelschwarzen Augen ruhten immer noch auf Sirius' Gesicht. Es war als blickte ein vollkommen neuer Mensch durch diese Augen. Sirius war erneut von ihnen gefangen. Ein eigenartiges Kribbeln breitete sich von seiner Magengegend in seinem ganzen Körper aus. Es durchflutete seine Adern, heizte seinen Körper auf. Er spürte wie seine Wangen zu glühen begannen. Sein Herz schlug pochend in der Brust, schien beinahe den Brustkorb zu sprengen. Die Luft um ihn herum schien zu vibrieren. Langsam stellten sich seine Nackenhärchen auf und ein angenehmer Schauer überzog seinen Rücken. Noch immer wagte er nicht seinen Blick zu senken. Er wollte diesen kostbaren Moment nicht zerstören. Wenn es nach ihm ginge, könnten sie beide für immer in Stein verwandelt werden, nur um diesen Augenblick für die Ewigkeit zu halten. Würde er jetzt den Augenkontakt verlieren, wäre es vorbei. Für immer. Diese Tatsache schmerzte ihn tief, ließ ihn bitter schlucken. ‚Zu einer anderen Zeit .... An einem anderen Ort ...' Severus' Worte hallten in seinem Geist wieder. Stellten ungeahnte Fragen, auf die es keine Antwort gab, oder auf die er die Antwort bereits kannte. Zu einer anderen Zeit .... An einem anderen Ort ....'

Langsam kam das Gesicht des Zaubertränkemeisters näher. Sirius schloss bedächtig die Augen.

Ihre Lippen trafen sich zum zweiten Mal an diesem Abend. Und doch unterschied sich dieser Kuss gänzlich zu dem vorangegangenen. Wie ein Stromstoß durchfuhr Sirius die Berührung, reizte all seine Nerven bis zum Äußersten, versetzte ihn in einen angenehmen Taumel, ließ die Welt um ihn herum schwinden. Es war als würde sich die ganze Welt um ihn drehen, als würde er vom Boden emporheben, sich völlig frei im Raum bewegen. Als hätten die Gesetze der Natur keine Gültigkeit mehr. Er konnte den leicht süßlichen Geschmack von Severus schmecken. Das Aroma des Zaubertränkelehrers stieg ihm verführerisch in die Nase, kitzelte dort die feinen Geruchsnerven. Ein sanftes Spiel ihrer Zungen begann. Keine Brutalität, kein Verzweiflungstat. Es war perfekt. Es war überwältigend. Sirius spürte wie seine Beine nachgaben, und er drohte einzuknicken, doch Severus legte einen Arm um seine Taille und gab ihm den nötigen Halt. Sirius schmiegte sich weiter an den Körper vor sich. Sirius verlor sich vollkommen in diesem einen, perfekten Kuss.

Die Verschmelzung ihrer Münder schien Ewigkeiten zu dauern. Umso schmerzlicher war es für Sirius als sich Severus von ihm löste, und somit ihre Verbindung unterbrach. Beinahe hätte er gewimmert. Jede einzelne Zelle in seinem Körper schien aufgrund dieses Verlusts zu schreien. Gequält zwang er sich wieder die Augen zu öffnen. Und da waren sie wieder. Diese dunkel stechenden Augen, die jeder so fürchtete. Jeder, außer Sirius. Er konnte dahinter blicken. Konnte das Elend, das sie verbargen sehen. Sie ängstigten ihn nicht. Nicht mehr. All die Jahre des Hasses, der Feindschaft schienen vergessen. Alles und doch nichts hatte sich verändert.

Erneut beugte sich Severus nach vorne. Sirius' Herz setzte einen Herzschlag lang aus. Wie sehr wünschte er sich diese geröteten Lippen wieder auf den seinen zu spüren. Sich dem Taumel der Gefühle erneut hinzugeben, doch stattdessen flüsterte Severus ihm sanft ins Ohr: "In einem anderen Leben vielleicht." Es klang wie ein Versprechen, und trotzdem schmerzten diese Worte fast unerträglich in Sirius' Brust. Es war gleichzeitig auch eine Feststellung.

Langsam lockerte sich der Griff um seine Taille und gab ihn vollständig frei. Im ersten Moment dachte er, er könne sich nicht selbst auf den Beinen halten, doch langsam kehrte die Kraft zurück und schlussendlich stand er einigermaßen gefasst vor dem Zaubertränkemeister. Sirius konnte noch eine leichte Andeutung von einem Lächeln über Severus' Gesicht huschen sehen, als dieser an ihm vorbeiging und den Stufen hinab ins Schloss folgte.

‚In einem anderen Leben vielleicht.... anderem Leben..... anderem ....'

"Warum nicht in diesem?", kam es leise krächzend aus seiner Kehle.

 

  Kapitel 6

  Epilog

 

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