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Kapitel 3: Vertrauen 

 



~*~

Ich habe Angst.

Jeder hat Angst.

Du kommst mir zu nahe.

Angst, dass ich dir nahe komme?

Dass du siehst wer ich wirklich bin.

Warum willst du dich verstecken?

Weil ich nicht weiß, wer ich wirklich bin.

Ich weiß es.

Und wer bin ich?

Finde es selbst heraus!

Bleibst du bei mir?

Ich kann es dir nicht versprechen.

~*~




Die Stille ist mein ständiger Begleiter. Sie lässt mich nicht los, hält mich wie eine Geliebte fest umschlungen. Ständig ist sie um mich, selbst in einer Masse von Menschen. Sie wurde zu einem Teil von mir. Ich weiß nicht mehr wann, noch weiß ich wo, doch irgendwann in meinem Leben wurde mir bewusst, dass mir nichts anderes blieb. Ich umhülle mich mit Schweigen, auch wenn ich spreche. Belanglosigkeiten, auditive Geplänkel, mehr sind diese Gespräche nicht. Niemand wird sich je daran erinnern, niemand wird je um mich gedenken. Ich habe mich damit abgefunden, wie ein Schatten durch diese Welt zu treiben.

Und doch gibt es Momente in meinem Leben, bei denen ich fast das Gefühl habe zu leben. Ein noch so schwacher Funke brennt zu diesen Zeitpunkten in meinen Inneren. Verzehrt die Gleichgültigkeit, die Mauer, die ich um mein Herz errichtet habe. Es schmerzt, bis tief in mein Innerstes. Füllt mich aus, verlangt nach mehr, und doch weiß ich, dass ich seiner Bitte nicht folgen kann. Schon vor langer Zeit bin ich gestorben, habe mein gesamtes Leben nur nach der Suche nach dem Sinn verbracht. An dem Tag an dem ich erkannte, dass es ihn nicht gab, brach mein Herz entzwei. Ich erlaubte mir keine Gefühle mehr. Wollte niemals den Schmerz spüren, den das Leben verursachte.

Doch nun keimt eine neue Hoffnung in mir. Ich sehe in deine braunen Augen und erkenne die Fragen, die du mir stellen willst, und doch nicht wagst auszusprechen. Ich sehe die Ungläubigkeit, die sich in dir breit macht. Ich hasse dich, und zeitgleich bist du der einzige Mensch, den ich in meiner Nähe ertrage. Sind wir uns wirklich so ähnlich? Ich würde es niemals öffentlich zugeben, doch in diesem Moment stehst du mir so nah, wie noch kein Mensch zuvor. Und diese Tatsache erschreckt mich. Sie macht mir Angst, erfüllt mich mit einer Nervosität, die ich schon lange als verloren glaubte.

Du sitzt mir still gegenüber, erwiderst kein Wort. Noch immer ist der fragende Blick auf deinem Gesicht. Wird er jemals weichen? Wirst du je den wahren Gehalt meiner Aussage verstehen? Ich hoffe und fürchte es. Bist du die Erlösung? Bist du mein Untergang?


~*~


Schweigend saßen sich die beiden Männer gegenüber. Keiner wagte auch nur ein Wort zu sagen. Die Stille breitete sich bleiern zwischen ihnen aus, schien zum Greifen zu sein. Severus sah seinem Gegenüber direkt in die Augen, obwohl er ihn am liebsten zur Tür komplimentiert hätte. Doch auch er wagte sich nicht zu rühren. Wie konnte er sich solch eine Blöße geben? Er war verwirrt, verstört, wusste nicht warum er den letzten Satz ausgesprochen hatte. Die Worte waren einfach über seine Lippen gesprudelt, ohne dass er ihnen Einhalt gebieten hätte können.

Sirius durchbrach als erster die Stille. "Ich wollte dich töten!" Leise, beinahe wie ein Flüstern, drangen die Worte an Severus' Ohr. Er hätte schockiert sein müssen, hätte wütend sein sollen, doch er war nichts von dem. Diese Gefühle fehlten völlig in seinem Denken. Wie sollte er auf etwas wütend sein, dass er schon längst wusste. Er wusste, wie sehr der Mann ihm gegenüber ihn hasst, wie abgrundtief diese Emotionen gingen. Wie viele Nächte hatte er sich die selbe Frage gestellt? Unzählige Male hatte er die damaligen Ereignisse Revue passieren lassen. Hatte die Geschehnisse wieder und wieder durch seinen Kopf gejagt. Und immer kam die gleiche Antwort heraus.

"Ich wusste schon immer, dass du mich in den Tod schicken wolltest." Er befürchtete beinahe, dass seine Stimme weinerlich klang, doch sie war gefestigt und anklagend. Besonders die zweiter Nuance kam überdeutlich hervor. Unterstrich seine Frage, zeigte die Wichtigkeit darin an.

Der Blick seines Gegenübers verwandelte sich. Nicht Scheu, Ablehnung, Hass oder Angst spiegelten sich darin wieder. Severus konnte diesen Blick nicht definieren, noch nie zuvor hatte ihn irgendein menschliches Wesen derart angesehen. War es möglich? Bestand auch die noch so geringe Chance, dass Sirius ihn akzeptierte, vielleicht sogar respektierte?

"Und doch bist du meinen Worten gefolgt?" Noch nie zuvor hatte Severus eine derartige Gelassenheit bei dem Animagus erkennen können. "Ich habe es nie erkannt. Ich dachte ...." Weiter konnte er den Satz nicht ausführen, denn Severus fiel ihm ins Wort.

"Diese Diskussion ist lächerlich. Diese Ereignisse sind längst vergangen. Und ich denke nicht, dass du nur hergekommen bist, um meine Naivität von damals zu diskutieren. Bevor du weiter meine Zeit verschwendest, solltest du lieber auf deine wahren Fragen zurückkommen." Die gewohnte Gleichgültigkeit, seine gefürchtete Kälte war wieder in Severus' Stimme. Endlich hatte er sich gefasst, konnte somit dieser Farce ein Ende bereiten. Nichts sehnlicher wünschte er sich in diesem Moment, von Kostbarkeit und Grausamkeit gleichzeitig geprägt. Warum musste alles zu kompliziert sein, so erschwert werden. Konnte es nicht einmal leicht sein? Wäre dies zuviel verlangt?

Severus konnte nicht glauben, dass Sirius lächelte. Ja, ganz deutlich. Er lächelte ein süffisantes, herablassendes Lächeln. Sein gesamtes Gesicht wurde davon dominiert, ließ Severus sich erschreckend klein vorkommen. Es war nicht fair. Warum konnte er in dieser Situation lächeln? Wie konnte er ihn nur so auslachen? Ihn verhöhnen? Ihn in seinen eigenen Räumen zum Gespött machen?

Der Animagus erhob sich aus seinem Sessel und beugte sich über den Tisch zu Severus hinüber. Noch immer umspielte diese schreckliche Abart einer höhnischen Fratze seine Lippen. Seine dunklen, leuchtenden Augen trafen Severus' Schwarze. Sie schienen größer und größer zu werden. Ihn vollkommen aufzusaugen, ihn willkommen zu heißen. Er verlor sich fast vollständig in diesen mystischen Augen. Doch dann vernahm er erneut die provozierende Stimme von Sirius. "Wovor hast du solche Angst? Ist es dir wirklich so zuwider, dass ich dir nahe komme?" Demonstrativ leckte er sich über die rauen Lippen. "Hast du schon vergessen ein Mensch zu sein?" Sirius hatte seine Stimme gedämpft. Die Lautstärke war gerade laut genug, dass Severus ihn verstehen konnte. Und die Worte trafen. Ein erneutes Feuer loderte in Severus' Augen auf. All die wohlbekannten Gefühle gegenüber dem Animagus kamen mit einem Schwall wieder an die Oberfläche. Die Enttäuschung, die Resignation, die Verletztheit, und schlussendlich der Hass. Wie hatte er all diese Emotionen nur verleugnen können. Sie waren ein Teil von ihm, im Grunde waren sie sogar sein wahres Ich. Seit Jahren hatte er keine anderen Emotionen mehr gespürt. Längst vergraben schienen andere Gefühlsregungen.

Severus erhob sich ebenfalls aus seinem Stuhl und beugte sich nach vorne. Ihre Nasen berührten einander beinahe. Nur Millimeter trennten sie voneinander. Severus richtete seinen hasserfüllten Blick auf die braunen Augen von Sirius. Er würde nicht wieder versagen, würde sich nicht dazu hinreißen lassen, nachzugeben. Diesmal nicht! Er war Severus Snape. Vertrauter von Voldemort, dem gefürchtetsten Magier aller Zeiten, und zeitgleich der Spion von Albus Dumbledore, der dem Dunklen Lord als felsenfeste Bastion entgegen trat. Er würde sich nicht von ein paar Wörtern in die Knie zwingen lassen, würde nicht unter ihrer Last zusammenbrechen. Niemals wieder.

Trotzend, beinahe klischeehaft standen sich die beiden Männer gegenüber. Keiner wagte ein Wort zu sprechen. Sie fochten ihr Duell in Blicken aus. Hätten sie sich selbst beobachten können, wäre ihnen diese tragische Komik nicht entgangen. Doch keiner der Beiden wollte bei diesem Kampf der Verlierer sein.

Doch seltsamerweise war Severus der Erste der ihr visuelles Duell unterbrach. "Mach dich nicht lächerlich!" Auch wenn es nach außen hin nicht den Anschein erweckte, innerlich war Severus über diese Aussage mehr erstaunt, als Sirius. Schon als die Worte über seine Lippen kamen, erkannte er das kindliche Trotzverhalten. Solch eine dämliche Bemerkung hätte er von einem Fünfjährigen erwartet, jedoch nicht von einem erwachsenen Mann. Und vor allem nicht von sich. Dennoch hatte er die Worte mit seiner Stimme ausgesprochen. Frustriert ließ er sich zurück in seinen Sessel fallen. Wenn dies bereits der Abend der Entblößungen sein sollte, dann wollte er seine Schmach komplettieren. Er griff erneut zur Cognacflasche und schenkte sein Glas voll. Auch Sirius hatte sich wieder auf seinen Stuhl gesetzt. Severus füllte auch sein Glas mit der bräunlichen Flüssigkeit.

"An dem Tag, an dem ich erkannte, dass ich niemandem vertrauen konnte, dass nie jemand für mich da sein würde ... ich denke an diesem Tag habe ich das Leben aufgegeben. Viele denken, das Leben gibt sie auf, doch ich sage dir, es ist umgekehrt. Als ich damals den Gang unter der Peitschenden Weide betrat, in diesem Moment wusste ich, dass du mich verraten hattest. Doch ich konnte nicht mehr zurück. Ich wollte es auch nicht. Ich wollte dir nicht in die Augen sehen, und dort den gleichen Spott und Hohn erkennen, den ich tagtäglich in unzähligen Gesichter sah. Ein Teil von mir klammerte sich verzweifelt an die Möglichkeit, dass ...." Severus ließ seinen Zeigefinger verspielt über den Rand des Cognacschwenkers gleiten. Hypnotisiert ließ er wieder und wieder seinen Finger Runden kreisen, starrte abwesend auf diese Bewegung, versuchte sich so die weiteren Worte zurecht zu legen. Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Kehle, bevor er Sirius direkt ins Gesicht sah. Er sah in beinahe flehend an, wollte diesen Satz nicht beenden.

Sirius verstand. Zum ersten Mal in seinem Leben verstand er den schwarzhaarige Mann vor sich. In diesem Augenblick war er ihm näher als jedem anderen Menschen in dem alten Schlossgemäuer. Ja, vielleicht sogar näher als irgendeinem Menschen auf der Welt, Magier oder Muggel. Er kannte dieses Gefühl, hatte es bereits einmal erlebt. Tiefe Bitterkeit umschloss sein Herz. Mit dieser Emotion waren auch wieder die Erinnerungen ans Tageslicht getreten. Schuld, die er auf sich geladen hatte. Die er niemals genug büßen konnte. Er war der Grund warum es soweit gekommen war, warum die Dinge waren wie sie eben waren. Er hatte so viele Leben ins Unglück gestürzt. Während er lebte, waren wegen seiner Unfähigkeit, wegen seiner Idiotie, Menschen gestorben. Er hatte ihr Leben auf dem Gewissen.

Erst jetzt bemerkte Sirius, dass der Zaubertränkelehrer ihn immer noch bittend ansah. Mit einem kurzen Nicken erlöste er Severus und auch sich selbst von dieser Peinlichkeit.

"Gerade in diesem Moment habe ich bemerkt, wie ähnlich wir uns doch sind. Es scheint, als würden wir nur jeweils eine Seite einer Münze widerspiegeln. Und sosehr wir uns auch sträuben, wir gehören dennoch zusammen, und werden es bis in alle Ewigkeit sein. Wir sind verbunden. Unser Schicksal ist ineinander verknüpft. Auch wenn wir uns hassen, das Leben hat uns miteinander vereinigt. Ohne dass wir etwas dagegen tun können." In diesem Moment wirkte Sirius weise, fast allwissend. Eigenschaften, die Severus ihm immer abgesprochen hatte. Sirius leerte sein Glas und stand dann auf. Er sollte gehen, er musste gehen, doch irgendetwas hielt in zurück. Ein unerklärliches Gefühl, welches ihm sagte, dass hier und jetzt sein Schicksal geschrieben wurde. Tief verankert in ihm. Und doch schrie jede Faser seines Körpers diese Tatsache hinaus.

Noch einmal beugte Sirius sich nach vorne, stützte sich mit den Händen vom Tisch ab. Er hatte die schwarzen Augen seines Gegenübers fixiert, würde sie unter keinen Umständen wieder loslassen. "Sag Severus, wie weit ging deine ...", er stockte kurz, bevor er weitersprach, "...dein Vertrauen? Wärst du mir überallhin gefolgt?"

Severus beobachtete die braunen Augen aufmerksam. Wollte ein Anzeichen für Verrat, Verspottung darin erkennen, doch so sehr er sich auch anstrengte, nichts davon war zu erkennen. Nur Neugierde, Drang nach Wissen. Severus' Gedanken überstürzten sich. Sollte er antworten? Sollte er eines seiner verborgensten Geheimnisse offenbaren? Oder lieber doch schweigen? Wäre es nicht ein Verrat? Ein Verrat an sich, wenn er auf diese Frage antwortete? Dieser Abend verwandelte sich in eine einzige Katastrophe. Konnte es noch schlimmer werden? Auch wenn Severus nicht wusste wodurch, er war sich sicher, dass dies lediglich der Anfang war. "Ja, ich wäre dir überallhin gefolgt." War es der Alkohol, der seine Zunge lockerte? War es einfach die Atmosphäre? Spielte es überhaupt eine Rolle?

"Dann folge mir!" Sirius blieb nur noch wenige Sekunden stehen, um sicher zu gehen, dass der Zaubertränkelehrer seine Botschaft verstanden hatte. Danach drehte er sich um und verließ den Raum.


 

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