7.Challenge auf www.severussnape.de.vu
Disclaimer: Die bekannten Personen dieser Geschichte gehören alle Joanne K. Rowling. Das Hotel Blue und sein Wirt sind meinem Gehirn entsprungen.
Inhalt: Nach der Vernichtung des Dunklen Lords hat so mancher den Boden unter den Füßen verloren und nicht jeder schafft es wieder, ein geordnetes Leben zu führen. Wo bleiben Opfer und Täter? Und wer übernimmt die Verantwortung für das, was er getan hat?
~*~*~*~
Die Bar war nicht mehr als das dunkle Hinterzimmer eines heruntergekommenen Hotels. Von völlig schmutzigen Lampen wurde ein trübes Licht in den Raum geworfen. Doch die Finsternis beherrschte die Ecken und Nischen. Dort sammelten sich die Schatten und boten nicht nur Spinnen und Asseln ein Versteck. Es war die bedrückende Stimmung einer Totenwache. Und obgleich es schon weit nach Mitternacht war, lungerten noch immer einige armseligen Gestalten in diesem abgeschiedenen und vom Tageslicht verschonten Lokal.
Die abgestandene Luft war ein Allerlei von Alkohol, kaltem Pfeifenrauch und Staub, der flirrend durchs von Gläserreihen reflektierte Licht wirbelte. Das einzige Fenster, das man hätte öffnen können, war fest verriegelt, das Schloss bereits angerostet und die schweren Leinengardinen schirmten die Gäste vor der Außenwelt ab. Die Hexen und Zauberer, die sich ins Blue Hotel einschrieben, waren auf der Flucht. Vor der Welt, ihren Feinden und sich selbst. Die Bar bot diesen Menschen Zuflucht. Ihr stets gefüllter Vorrat an Feuerwhisky und gutem Ale half dabei unangenehme Erinnerungen zu ertränken, so dass sie schließlich zu undeutlichen Bildern wurden, denen keinerlei Bedeutung mehr zugeschrieben werden konnte.
Doch es gab auch solche Erinnerungen, die sich als besonders hartnäckig erwiesen. Ereignisse, die sich nicht durch Alkohol verdrängen lassen wollten. Und einen solchen Fall hatte der Barkeeper in dieser Nacht vor sich sitzen. Es war ein groß gewachsener Mann, dessen Haar bestimmt bereits vor einigen Tagen das letzte Mal Wasser und Seife gesehen hatte. Seine Kleidung und seine manikürten Finger (unter denen sich mittlerweile auch schon schwarzer Dreck sammelte), waren eindeutige Hinweise auf seinen guten gesellschaftlichen Stand. Doch falls sein guter Ruf in der Gesellschaft noch bestanden hätte, so wäre er doch spätestens mit diesem Abend vollends zerstört worden. Doch genau genommen, hatte es keinen spektakulären Skandal gegeben. Vielmehr war er langsam krepiert. Zu guter Letzt hatte er sich heute selbst den Gnadenschuss verpasst, als er mit sehr wenig Gepäck die Türschwelle überschritten hatte. Jetzt feierte er seinen lang vorhergesehenen und nun offiziell gewordenen Untergang.
"Gib mir noch einen."
Schweigend servierte der Barkeeper einen doppelten Feuerwhisky. Natürlich doppelt. Der dritte seit dieser Gast sich an die Theke und somit an die Quelle gesetzt hatte.
"Danke, mein Freund."
Die leicht zitternden Finger umschlossen das kalte Glas. Ein leises Lächeln huschte über seinen Mund, aber er machte keinerlei Anstalten auch einen Schluck zu nehmen. Stattdessen starrte er einfach auf das klare Eis, das funkelnd in der verlockenden Flüssigkeit lag und langsam dahin schmolz.
"Das Haus ist so verdammt groß."
Der Barkeeper widmete sich wieder seinen Gläsern, doch er hörte aufmerksam zu. Das konnte er sehr gut.
"Seit sie mich verlassen hat, kann ich nicht in diesem verfluchten Haus bleiben."
Sein Griff wurde so fest, dass die Knöchel seiner ohnehin blassen Haut stechend weiß hervortraten. Mit dem Ärmel wischte er sich über die übermüdeten Augen und atmete langsam ein um sich wieder zu beruhigen.
Obwohl der Blonde sich an seine Vergangenheit klammerte und seine Erinnerungen mit einer Mischung aus Selbstmitleid und Feuerwhisky betäubte, hatte er noch immer den Stolz und die Arroganz an sich, die von Generation zu Generation weitergegeben worden war. Wie ein kostbares Familienerbstück.
Umso erstaunlicher war es deshalb, dass der jüngste und eigentlich einzige Spross der Malfoys, der junge Draco gerade die ritterlichen Tugenden entdecken musste. Zu dumm, dass diese nicht gerade mit der malfoyschen Lebensweise zu vereinbaren waren. So hatte der Vater den Sohn verloren, auch wenn er nicht gestorben war. Doch während der letzten Schlacht hatte er sich auf die Seite der Guten und somit gegen seinen Erzeuger gestellt. Der Sohn gewann und überlebte, der Vater verlor und vegetierte. Und die Mutter? Sie ertrug den Trennungsschmerz geduldig, aber die Schande konnte sie nur durch Abscheu ertragen.
Doch dann kam auch für sie der letzte Stich ins Herz. Draco fand die Frau fürs Leben. Aber was war wohl das schlimmere Vergehen? Dass es sich dabei ausgerechnet um Ginny Weasley, der einzigen Tochter von Arthur und Molly Weasley handelte? Oder dass weder Lucius noch seine Frau Narcissa zur Hochzeit eingeladen worden waren?
"Es war die Hochzeit", murrte Lucius, der nun versuchte den letzten Eiswürfel einzuschüchtern. "Die hat das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht. War das Tüpfelchen auf dem i. Und der Grund warum Zissy mich verlassen hat. Sie macht mir Vorwürfe. Das schlimme daran ist, ich kann es ihr nicht einmal übel nehmen. So einen Versager wie mich hat sie nicht verdient."
Lucius hob das Glas an und schluckte den Whisky in zwei großen Zügen.
"Draco, er hat nicht einmal nach einer Ausrede gesucht. Er wollte uns bloß nicht dabei haben, bei seinem großen Tag. Er wollte mich nicht sehen. Und das kann mir Zissy nicht verzeihen."
Er schloss die Augen, atmete hörbar ein und fixierte dann den schwarzhaarigen Mann hinter dem Tresen.
"Ich kann mich noch ganz genau an ihr Parfüm erinnern! Ich habe es ihr zu unserem Hochzeitstag geschenkt. Sie liebte diese dezente Ingwernote."
Lucius zog die Stirn kraus. Seine Augen waren starr auf den Barkeeper vor ihm gerichtet, der in aller Seelenruhe die gespülten Gläser mit einem grau-vergilbten aber sauberen Tuch trocken wischte.
Etwas verunsichert schüttelte der blonde Zauberer und verlassene Familienvater seinen schweren Kopf, strich sich eine der fettigen Haarsträhnen hinters Ohr und meinte dann mehr zu sich selbst als zum Barkeeper: "Das Gesicht kommt mir bekannt vor. Aber woher … "
Da sein Gegenüber jedoch keinerlei Anstalten machte ihm auf die Sprünge zu helfen, fuhr sich Lucius mit steifen Fingern über seine Lippen. Noch einmal versuchte er sich zu konzentrieren und seine noch intakten Gehirnwindungen zu aktivieren. Es war wie verhext. Je länger er in dieses selbstgefällige Gesicht blickte, umso undeutlicher und verschwommener schien es zu werden. Und urplötzlich verlor Lucius das Interesse dieses Gesicht zu erkennen. Das leere Glas war ihm ein Dorn im Auge.
Er wusste nicht einmal, wie kurz davor er gewesen war, erfolgreich zu sein.
Falls der schwarzhaarige Mann ob dieser intensiven Begutachtung nervös geworden war, so ließ er es sich nicht anmerken. Er machte sich soeben an die Inventur der Spirituosen und drehte die Flaschen fein säuberlich so zurecht, dass die Etiketten gut lesbar waren. Gelegentlich vermerkte er auf einem handlichen Block, welche Getränke nachzubestellen waren. Nur er selbst war wohl in der Lage diese winzigen Buchstaben zu entziffern.
"Mir ist jetzt alles klar!"
Der Barkeeper drehte sich überrascht um.
Lucius war mit einem Mal aufgesprungen, zwar leicht wankend aber immerhin stand er im düsteren Raum. Die eine Hand klammerte sich am Barhocker fest und die andere Hand hob das noch immer völlig leere Glas bis nah unter die Decke. (Was keine besondere Kunst war, da die Decke ziemlich niedrig war.)
"Das mir das nicht gleich aufgefallen ist!" lallte Lucius.
Wieder saugte sich sein Blick am Barkeeper fest. Langsam senkte sich die Hand mit dem Glas. Mit abgespreiztem Finger deutete der betrunkene Zauberer auf den Barkeeper; eine tiefe Furche hatte sich zwischen seine Augenbrauen gegraben.
"Severus Snape", zischte Lucius.
Der Barkeeper blieb bewegungslos.
"Severus Snape", wiederholte Lucius nun etwas deutlicher und wankte einen halben unsicheren Schritt näher an den Mann vor sich, vorsichtshalber mit dem verbrauchten Whiskyglas fixierend.
"Sev hat's genau richtig gemacht."
Lucius stand jetzt so nah am Tresen, dass sein vor Alkohol und vernachlässigter Mundhygiene stinkender Atem den Barkeeper schließlich doch zurückweichen ließ. Nicht dass der Mann, der sich in dieser Bar seinen bescheidenen Lebensunterhalt verdiente, vor diesem weinerlichen Trunkenbold Angst gehabt hätte. Immerhin hatte er schon bei weitem Schlimmeres durchgemacht. Aber eine Mischung aus Ekel und destruktiver Faszination unterstützten seine Aufmerksamkeit. Es war wie das Brauen von Zaubertränken, wenn sie kurz davor waren zu reagieren. Und in einigen zum Glück eher wenigen Fällen zu explodieren. Der Gedanke an vergangene zerstörte Kessel ließ den Mann hinter der Theke erschaudern.
"Er hat's verdammt noch mal gepackt. Er hat seine Chance ergriffen und es schließlich weit gebracht."
Bei diesen Worten griff Lucius in die Innentasche seines nicht mehr ganz sauberen Gehrocks, holte einen längst abgelaufenen Terminkalender hervor. Ein fünfeckiges Etwas fiel ihm direkt in die offene Hand und er warf es wie ein dünnes deformiertes Frisbee auf den Tresen. Für eine Sekunde schwebte das Ding um sich selbst rotierend über der blanken Oberfläche und blieb dann vor dem Barmann gerade so liegen, dass dieser erkennen konnte, wer auf dieser Schokofroschkarte abgebildet war. Denn genau das war es. Eine simple, bei vielen Kindern beliebte Schokofroschkarte. Ein funkelndes Sammel- und Tauschobjekt, das den kleinen Zauberern die großen und berühmten Hexen und Zauberer ihrer Welt präsentierte.
Und von dieser Karte blickte dem Barmann ein nur allzu bekanntes Gesicht entgegen. Griesgrämig wurde er von den stecknadelgroßen Augen eines Miniatur-Snapes gemustert.
"Severus Snape, anerkannter Zaubertränkemeister", begann Lucius hochtrabend den Text unter der Abbildung zu zitieren, "trotz seiner bewiesenen Schuld am Tod seines Mentors (Albus Dumbledore, ehm. Schuleiter von Hogwarts) war S. Snape maßgeblich an der Vernichtung von Dem-dessen-Namen-nicht-genannt-werden-darf beteiligt. Während der großen Auseinandersetzung in Godric's Hollow verstarb Snape durch freundliches Feuer*."
Lucius warf der Schokofroschkarte einen bitterbösen Blick zu.
"Von wegen freundliches Feuer. Dieser Potter-Bastard hat sich doch bloß kaltblütig gerächt. Hat Sev hinterrücks einen Todesfluch verpasst."
Das Gesicht des blonden Zauberers hatte sich seltsam verändert. Ein Ausdruck von Leid hatte sich in seine Augen geschlichen, so dass es schien als sei er innerhalb weniger Sekunden um Jahre gealtert zu sein. Er drehte die Sammelkarte behutsam um 180 Grad, bis er die Schrift hätte lesen können, wenn er es denn gewollt hätte. Aber er kannte den Text ohnehin auswendig.
"Ich könnte schwören, dass er mich hämisch angrinst. Immer dann wenn ich gerade nicht hinsehe. Aber ich habe es gesehen, als Potter ihn getötet hat. Ich war dabei."
Gedankenverloren kippte Lucius das Glas, nur um festzustellen, dass es noch immer leer war. Leicht verdutzt starrte er es an, zuckte kurz mit den Schultern und schob es dann müde über den Tresen.
"Dieser ach so große Auserwählte, pah … er hatte mehr Glück als Verstand. Denn hätte er auch nur ein bisschen mehr Grips gehabt, wäre er nicht so ein Nichtsnutz gewesen. Und das sag ich nicht nur, weil ich Sev meinen Freund nannte, mein Freund", raunte Lucius verschwörerisch, den Barkeeper nicht aus den Augen lassen, der ihm einen neuen Drink einschenkte.
"Severus hat mich, sie, uns alle getäuscht. Pah … ich könnte immer noch nicht sagen, auf wessen Seite er nun stand. Aber er hat wenigstens ein vernünftiges Ende gefunden. Und auch das ist nicht zu verachten, nicht wahr?"
Bedeutsam nahm Lucius die Karte mit spitzen Fingern auf, bedachte den kleinen Snape mit einem halb schielenden Blick bevor er ihn überaus vorsichtig wieder in seine Tasche zurücksteckte. Lächelnd klopfte er sich auf die Brust, genau da, wo sich die Karte befand. Dann schlossen sich die Finger seiner Rechten um den Feuerwhisky.
"Ich könnte dir die letzten Stunden bis ins kleinste Detail erzählen, weißt du. Ich war dabei, ich habe alles gesehen. Auch Potter. Ihn und meinen Meister."
Jetzt schluckte Lucius trocken, hatte den Whisky schon wieder vergessen und starrte nur den Mann vor sich an. Er sah ihm direkt in die Augen, doch eigentlich sah er durch sie hindurch.
"Es herrschte ein Chaos."
Seine Stimme war kaum mehr als ein ehrfürchtiges Flüstern, als er sich an die große Nacht erinnerte.
"Ausgerechnet der Friedhof von Godric's Hollow war die Arena. Ein schlechter Scherz des Schicksals, wenn du mich fragst. Und eine solche magische Energie wie damals habe ich davor noch nie gespürt. Auch nach diesem Gefecht nicht. Doch ich träume in manchen Nächten davon."
Unwillkürlich hob Lucius seinen Drink an den Mund und nippte erst vorsichtig daran. Das berauschende Aroma trieb ihm die Wärme in den Körper und die Tränen in die Augen. Er bemerkte nicht, dass sich der Barkeeper kurz bemühte nicht die Fassung zu verlieren. Aber es fiel ihm ja auch nicht auf, dass er schon seit Stunden in der Bar war und außer ihm anscheinend niemand anderes einen Umtrunk orderte.
"Sev hat für Potter die Dreckarbeit gemacht, ihm den Rücken freigehalten und dafür gesorgt, dass er überhaupt bis zum Dunklen Lord vordringen konnte. Seine kleinen Freunde hatte es ja schon vorher umgehauen … hick."
Lucius räusperte sich, doch der Schluckauf blieb, was ihn ein wenig aus der Fassung brachte.
"Hick … ich meine, Severus hat immerhin uns andere aufgehalten … ganz allein."
Der Barkeeper atmete etwas zu heftig aus und schüttelte mehr fühl- denn sichtbar den Kopf. Diesmal jedoch bemerkte Lucius die Bewegung, auch wenn er sie falsch deutete.
"Vielleicht … hick … vielleicht nicht ganz allein. Da waren noch diese Versager vom Orden … hick … Versager."
Es folge ein tiefer Zug aus dem Glas, der Schluckauf schien sich verabschiedet zu haben. Doch kaum dass Lucius entspannt aufatmete, meldete er sich zurück.
"Verdammter … warum hat dagegen noch keiner was … hick … gefunden?"
Wortlos reichte ihm der Barkeeper ein Glas mit einer klaren Flüssigkeit.
"Was ist das?"
Als er als Antwort nur ein dünnes Lächeln und ein ruckartiges Kopfnicken bekam, setzte er den Whisky ab und nahm das zweite Glas. Zweifelnd fächelte er sich den vermuteten Duft des Trankes entgegen.
"Wasser … hick … Wasser?"
Eigentlich hatte er entrüstet klingen wollen, doch der vermaledeite Schluckauf hinderte ihn erfolgreich daran.
Er trank das Glas auf einen Zug aus, wofür er weitaus länger brauchte, als er gedacht hätte. Sorgen, dass es sich bei dem Zeug um etwas Schädliches oder gar Tödliches handeln könnte, machte er sich nicht. Zum einen, weil ein toter Gast sogar in der Nockturngasse schlechte Werbung war und zum anderen, weil es ihm schlichtweg egal war.
Lucius schaffte es gerade noch das geleerte Glas unbeschadet auf dem Thekenholz abzustellen, doch dann begann sich der Raum um ihn zu drehen. Die Schatten krochen aus den verzerrten Winkeln hervor. Er wollte noch fragen, was mit ihm passierte, doch seine Zunge fühlte sich wie ein toter Fisch an, der in seinem Mund nichts verloren hatte. So brachte er nicht eine vernünftige Silbe hervor. Verwirrt und zugleich unglaublich schwach auf den Beinen klammerte er sich am Barhocker fest, an dem er langsam zu Boden sackte. Als Lucius Hilfe suchend zum Barkeeper sah, da glaubte er nun endlich zu wissen, warum ihm das Gesicht so seltsam vertraut vorgekommen war. Die grauenvolle Erkenntnis verzog das Gesicht des Zauberers zu einer grotesken Maske.
Nur noch wie durch einen Schleier konnte Lucius den Barkeeper sehen, der nun mit kurzen Bewegungen auf ihn zu kam und sich neben ihn hockte. Die Sicht wurde von der Dunkelheit gefressen. Dann war alles schwarz.
"Gute Nacht, Lucius!"
*~*~*
"Was hast du dir dabei gedacht? Ich hätte wirklich mehr von dir erwartet. Warum setzt du solche Kerle wie ihn nicht einfach vor die Tür. Genauso, wie jeder andere es auch tun würde? Also Kaspian war da ganz nach meinem Geschmack. Er hat noch weniger geredet als du, aber dafür war er nicht gerade zimperlich was grobe Handgreiflichkeiten betraf."
Wolly, der untersetzte aber überaus geschwätzige alte Wirt des "Blue" hatte sichtliche Mühe seinem Angestellten nicht mit der flachen Hand gegen die Stirn zu klatschen. Wahrscheinlich hielt ihn sogar nur der Größenunterschied ab. Er hätte schon auf einen Schemel steigen müssen. Und das war ihm absolut zu viel Aufwand.
"Da kommt so ein Versager von Todesser rein, begießt seinen Hals mit unserem, meinem Feuerwhisky und du erleidest einen akuten Nostalgieanfall!"
Grimmig und mit hochrotem Kopf schleppte Wolly zusammen mit seinem schweigsamen Barkeeper den bewusstlosen Lucius Malfoy die durchgetretenen Stufen zum ersten Stock empor.
"Ausgerechnet Malfoy. Hätte nie gedacht … uff … so einen mal in meinem Hotel ein Zimmer zu geben."
Mittlerweile hatten sie den schwach beleuchteten Flur erreicht. Zwei Zimmer zur Linken, zwei zur Rechten und geradeaus das gemeinsame Bad.
"Eine Schande wie sich ein Mann so gehen lassen kann."
Während Wolly nach dem Generalschlüssel in seinen weiten Hosentaschen suchte, ruhten Lucius' Füße auf dem handdicken Teppich. Leise schob der Wirt den Schlüssel ins Messingschloss, doch bevor er ihn drehte blickte er kurz in das Gesicht des Barkeepers, als ob er eine Bestätigung für sein Tun brauchte. Dann schloss er die Tür auf.
In einem trüben Schein drang das Licht aus dem Flur in das kleine Zimmer, das vor ihnen lag. Es reichte kaum aus, das Bett ausfindig zu machen. Jedoch kannten die beiden Männer die Zimmer nahezu auswendig. So mussten sie keine zusätzliche Lampe entzünden und Lucius wurde im Halbdunkel auf das Bett verfrachtet, das er wohl für die nächsten drei Tage nicht mehr verlassen würde. Dafür sorgte der Trank der Lebenden Toten.
"Irgendwann wirst du noch auffliegen", knurrte Wolly, als er hinter sich die Tür wieder zuzog. "Nur weil du deinen Tod so überaus überzeugend vorgetäuscht hast, ist das nicht mit Unverwundbarkeit zu verwechseln."
Severus Snape, der neueste Angestellte des Hotel Blue und der wohl talentierteste Barkeeper in der Nockturngasse, grinste seinen Chef mit einem hämischen Lächeln an.
"Ich sorge nur dafür, dass sich unsere Gäste an die Regeln halten."
"Ja, dass weiß ich. Aber wie du das durchsetzt passt mir nicht. Seit Wochen schon benutzt du dieses Zeug, anstatt …"
"Es bot sich an", unterbrach ihn Severus.
"Das muss aufhören."
"So wie es um deinen Laden steht, sollte das kein Problem sein."
"Darauf solltest du nicht bauen, Snape. Vergiss nicht, ich bin der einzige, der dein Geheimnis kennt."
"Zufall", schnarrte Snape.
"Nenn es wie du willst. Ohne mich wärst du überhaupt nicht so weit gekommen."
Wolly war ein alter Freund von Eileen gewesen, bevor sie Tobias Snape geheiratet hatte. Es lag nicht unbedingt an dieser Mischehe, dass der Kontakt unterbrochen worden war. Wolly bedauerte im Grunde sehr, dass er so viele Jahre nichts mehr von Eileen gehört hatte. Aber zu dieser Zeit hatte er noch seine Karriere im Zaubereiministerium vor Augen gehabt. Über Jahre war er der Verbindungsmann zum Scotland Yard und hatte die Zeit genutzt gute Kontakte zu knüpfen. Sogar jetzt noch hatte er einen Freund, einen Muggel, der beim Yard im Kriminallabor arbeitete. Wolly zwar ein Zauberer, aber noch mehr war er ein Eigenbrötler, der von den meisten Zauberern nichts mehr wissen wollte. Dass er Severus bei seinem Vorhaben unter die Arme gegriffen hatte, war seinem Schuldgefühl zu verdanken.
Wolly lachte rau, dann verabschiedete er sich von Snape, wünschte ihm eine gute Nacht und erinnerte ihn unnötigerweise noch mal daran alle Lampen zu löschen und die Türen abzuschließen.
*~*~*
Severus machte seine allnächtliche Runde. Zuletzt kehrte er in die Bar zurück. In dem ganzen Gebäude war dieser Platz sein liebster. Was vielleicht auch daran lag, dass die Bar im Kellergeschoß lag.
Snape stellte die leeren Flaschen beiseite. Gleich morgen früh würde er sie zum Container bringen. Er hatte einige Zeit gebraucht, um sich an die Idee zu gewöhnen ohne Magie zu recht zu kommen. Nun ja, zum größten Teil. Das Benutzen von Zaubertränken, wie auch in dieser Nacht, war nur ein schwacher Ausgleich für das Brauen. Aber auch das Brauen von Zaubertränken konnte ihn verraten. Jede Art von Magie hinterließ Spuren. Und auch wenn die gekauften Tränke von einer leider sehr durchschnittlichen Qualität waren, so konnte dieser Gebrauch nicht auf Severus zurückverfolgt werden. Und er hatte nicht vor allzu neugierige und übereifrige Zauberer und Hexen auf seine Fährte zu locken.
Severus seufzte.
"Kommen Sie raus Potter!"
"Wie ich sehe, haben Sie nicht nachgelassen, Professor."
Eine schmale Gestalt schälte sich aus dem Schwarz.
Harry Potter, der Auserwählte und seit neuestem der Bezwinger genannt, trat aus den Schatten. Er war älter geworden. Vielleicht lag es am schwummrigen Licht, aber das Gesicht des Siegers wirkte unangenehm hart und verschlossen.
"Jetzt nennen Sie mich Professor", stellte Severus betont beiläufig fest, "bedauerlich, dass sich dieser Respekt erst so spät eingestellt hat."
"Tote soll man ehren."
"Lassen Sie das, Potter. Auf diesem Gebiet sollten Sie sich nicht mit mir anlegen", raunte der Barkeeper verächtlich.
"Nett, Sie haben sich nicht im Geringsten verändert. Sie hantieren also immer noch mit Tränken, die den Geist benebeln?"
Harry nickte zum Regal rüber, in dem sich die ganze Bandbreite an Alkohol aneinander reihte. Der junge Mann blieb im äußerten Zwielicht stehen, seine Hände unter dem nassen Reiseumhang verborgen. Offenbar regnete es.
"Was wollen Sie Potter?"
"Ich habe Sie gesucht, Sir."
"Ach wirklich?"
Severus starrte Harry in die Augen, lächelte dann spöttisch und lehnte sich dann gegen die unverputzte Wand hinter ihm.
"Aber warum sollte jemand nach einem Toten suchen, Potter", fragte Severus. "Hat Sie vielleicht Miss Granger auf diese fixe Idee gebracht? Bestimmt."
"Diesmal nicht."
Für einen Augenblick war Severus wirklich verblüfft.
"Ehrlich gesagt konnte ich mir einfach nicht vorstellen, dass Sie so dämlich wären, direkt ins Kreuzfeuer zu rennen."
Severus' Mundwinkel zuckten bei dieser Beleidigung zusammen, obgleich er sich nicht ganz sicher war, ob er Harrys Äußerung so deuten konnte.
"Und das ist alles?" knurrte Severus.
"Zumindest gab es mir genügend Anlass zu Zweifeln."
"Sind Sie sicher, dass Sie nicht einfach nach einer Möglichkeit gesucht haben Ihr ach so schlechtes Gewissen zu beruhigen?"
Harry zuckte mit den Achseln.
"Selbst wenn es so wäre, ändert es nichts an der Tatsache, dass ich vor einem vermeintlich Toten stehe."
"Was mich wieder zu der Frage bringt, wie Sie mich gefunden haben."
"Nun, das war wohl Glück."
Severus schnaubte verächtlich. Ja Glück hatte dieser unmögliche Junge schon immer zur Genüge gehabt.
Wissen Sie, Professor, eigentlich war ich hinter Malfoy her. Wir wollen doch nicht, dass noch irgendwelche gefährlichen Todesser frei herum laufen."
Dabei fixierte er Snape und trat langsam näher. Harrys Bewegungen waren sehr vorsichtig und auch seltsam stockend. Trotzdem setzte er sich fast schon lässig auf den erstbesten Barhocker. "Na, wie wäre es mit einem Versöhnungsdrink? Geben Sie mir einfach das gleiche, was Sie Malfoy gegeben haben. Bevor Sie ihm den Schlaf der lebenden Toten vorgesetzt haben natürlich."
Severus blickte Harry bloß aus seinen schwarzen Augen an und rührte nicht den kleinsten Finger.
"Die Bar ist geschlossen", bemerkte er monoton.
"Immer noch so gesetzvernarrt?"
Snape schwieg.
"Nur einen Feuerwhisky. Auf die guten alten Zeiten? Sogar Malfoy hat darauf getrunken. Aber eigentlich hatte er auch keine allzu große Wahl. Kennen Sie den Retro-Trank, Snape?"
Harry wartete kurz auf eine entsprechende Reaktion bei Severus Snape. Als diese jedoch ausblieb fuhr er unbeirrt fort: "Wie sollte Sie auch. Es ist eine Neuentwicklung in Zusammenarbeit mit der Abteilung zur Verfolgung magischer Straftäter. Dieser Trank bewirkt, dass derjenige, der mit dem Trank in Berührung kommt, eine gewisse Zeitspanne seines vergangenen Lebens überdenkt. Dabei achtet er oder sie jedoch im besonderen Maß auf die Dinge, die seiner Ansicht nach schief gelaufen sind, verstehen Sie Snape?"
Severus verzog sein Gesicht zu einem zynischen Grinsen.
"Dann", begann er leise, "kann ich wohl davon ausgehen, dass ich Malfoys Trinkgelage und sein penetrantes Selbstmitleid, Ihnen und diesem ach so genialen Trank zu verdanken habe."
"Richtig. Den hat er zusammen mit der Schokofroschkarte bekommen."
"War es denn unbedingt nötig, gerade diese dämliche Karte zu verschicken?"
"Nein, aber ich fand es irgendwie passend."
"Ja, wirklich sehr witzig."
"Entschuldigen Sie", entrüstete sich Harry zu übertrieben, "zu diesem Zeitpunkt konnte ich noch gar nicht wissen, dass Sie sich bloß abgesetzt hatten."
"Ich dachte, Tote soll man ehren?"
"Und ich dachte Tote zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht mehr leben", konterte Harry.
Severus war nun tatsächlich etwas verdutzt. Hatte ihn das Leben als Barkeeper einer Gassenkneipe etwa weich werden lassen? Merlin bewahre!
"Pech für Sie, Professor, dass sich Mr. Malfoy ausgerechnet dieses Hotel aussuchen musste. Sonst hätte ich Sie wohl nie gefunden."
Snape hörte sich Harrys Siegeshymne mit schwindender Geduld an.
"Und was gedenken Sie nun zu tun, Mr. Potter? Vielleicht einen erneuten Todesfluch gegen mich werfen und damit endgültig zur Strecke bringen?"
"Ja, das könnte ich bestimmt. Keine Zeugen und Sie sind doch ohnehin schon lange tot. Ein erneutes Verhör beim Zaubergamot bräuchte ich mir also auch nicht noch mal anzutun. Seltsam, nicht wahr?"
"Sie tun mir aufrichtig leid, Potter."
"Ja ja, immer noch der alte Sarkast."
Severus wurde der Unterhaltung müde.
"Sind Sie jetzt fertig? Was immer Sie auch tun wollen, bringen Sie es hinter sich und ersparen Sie mir Ihr Gequatsche. Ich muss morgen wieder früh aufstehen. Wenn Sie nun endlich das Lokal verlassen würden."
"Oh ja, Snape, ich würde Sie nur zu gerne umbringen (ein mörderisches Funkeln stahl sich in Harrys Augen) und Ihrem erbärmlichen Leben das Ende bereiten, das Sie verdient haben. Aber ehrlich gesagt, gefällt mir die Vorstellung, dass Sie mir eben dieses Leben verdanken noch eine Spur besser. Das erinnert Sie doch bestimmt an alte Zeiten."
Tatsächlich dachte Severus gerade an Harrys Vater. Aber das war nichts Besonderes. Wann immer er Harry sah, dachte er automatisch an James.
"Schade Potter, aber so wie ich das sehe wird Ihre Rechnung leider nicht aufgehen. Erstens habe ich Ihren Arsch schon mehr als einmal gerettet und zweitens haben Sie mich ganz offiziell auf dem Gewissen. Auch wenn es ein Unfall war. Ich starb durch Ihre Hand, Harry."
Zufrieden beobachtete Severus Harrys Gesichtszüge, an denen er nun sehr deutlich ablesen konnte wie es in Harrys Gehirn arbeitete. So langsam schienen sich Harrys Gehirnwindungen in einen neuen gordischen Knoten zu verwandeln.
"Aber … Sie leben doch noch."
"Das wissen Sie, ich und der alte Wolly da oben. Sonst niemand. Und ich denke, dass es auch so bleiben wird. Zumindest sollte diese Tatsache Ihr Gewissen beruhigen."
*~*~*
Es war ein nicht ganz unerhebliches Maß an Glück im Spiel. Aber auch das nicht ganz ausgereifte Gefecht zwischen zwei alten Rivalen hatte einen großen Einfluss.
Harry hatte sich auf ein Gebiet begeben, auf dem er Severus Snape noch lange nicht das Wasser reichen konnte. Daher benötigte er mehrere Stunden, um überhaupt wieder klare Gedanken fassen zu können. Als er schließlich diesen Punkt erreicht hatte, überlegte er zunächst einmal wie er nun weiter vorgehen sollte. Eher durch eine Aneinanderreihung seltsamer Sinnlosigkeiten war er auf seinen ehemaligen Lehrer gestoßen. Unverhofft kommt oft.
Und nun? Sollte er es etwa wagen seinen Freunden von dieser undenkbaren Begegnung mit einem ‚Toten' zu erzählen? Harry stellte sich immer und immer wieder vor, wie dieses Gespräch wohl am ehesten ablaufen würde. Er hörte Hermines Stimme, die ihm versuchte klarzumachen, dass er sich nur getäuscht hatte. Dass es sich bei diesem Barkeeper einfach unmöglich um Snape handeln konnte. Es war so undenkbar.
So, so, so …
Schließlich entschied sich Harry gegen eine solche Konfrontation. Vielleicht war dies auch aus mehreren Gründen die bessere Wahl, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Über kurz oder lang würde Snape doch ohnehin sterben. Genau wie jeder andere Zauberer auch. Es war ein unausweichliches Schicksal. Das hatte Harry zur Genüge gelernt.
Zudem, warum sollte Harry so erpicht darauf sein, das Leben, das sich Snape geschaffen hatte, aus reiner Starrsinnigkeit zu einer weiteren Hölle zu machen? Die gemeinsamen sieben Jahre waren doch schon schlimm genug gewesen. Auch für Harry. Sollte Snape doch in dieser modrigen Bar bleiben, wenn es ihm dort so gut gefiel. Allem Anschein nach, führte er nun ein ruhiges Leben. Zumindest wenn nicht gerade sein ‚Lieblingsschüler' bei ihm auftauchte.
Harry seufzte.
Er saß in der Küche am Grimmauldplatz Nummer zwölf. Für einen kurzen Augenblick konnte er das Echo eines lange vergangenen Streites hören. Aus einem fremden Grund schlich sich ein schmales Lächeln auf sein Gesicht. Der junge Mann war nun sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Wer weiß, dachte sich Harry, vielleicht werde ich dem Hotel Blue irgendwann wieder einen kleinen Besuch abstatten.
Dann würde ihm der herrische Barkeeper vielleicht auch einen Feuerwhisky ausgeben. Auf die alten Zeiten.
Ende
* Freundliches Feuer: Während des Gefechts schießen die eigenen oder verbündete Truppenteile auf die eigenen Leute (Anm. des Autors)
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