Erinnerung des Alters
Der alte Mann stand regungslos am Fenster seines Turmzimmers und starrte hinaus in die Dunkelheit, in der sich die Umrisse des Schlosses schwarz gegen den Nachthimmel abhoben. Er gedachte einer Zeit, in der die vielen Fenster, die heute so dunkel und leer, hell erleuchtet waren und das Leben in den Fluren widerhallte. Wie gern würde er wieder das Lachen und Streiten der Kinder hören. Fast das einzige was er heute noch hörte, war das Stöhnen der Verwundeten und die Klagen derer, welche die Hoffnung auf einen Sieg längst verloren haben.
Seufzend wandte er sich um und blickte in das Gesicht des vielleicht letzten Menschen der noch an ihre Sache glaubte.
„Wie sieht es unten aus, alter Freund?“, fragte er mit müder Stimme. „Nicht gut, Albus. Gar nicht gut. Sie haben alle keinen Mumm in den Knochen.“
„Sei nicht so hart mit ihnen, Alastor.“, erwiderte der ehemalige Direktor Hogwarts. „Es ist nicht leicht für eine Sache zu kämpfen, die so wenig Hoffnung auf Erfolg verspricht wie unsere.“ Er klang erschöpft und seine Schultern, einstmals fähig so viele Lasten zu tragen, waren eingesunken. Besorgt betrachtete Alastor Moody den alten Freund und bemerkte mit Entsetzen, dass auch in seinen Augen die Hoffnung starb.
Gern hätte er das Thema gewechselt, einfach um etwas Erfreuliches sagen zu können, doch in diesen Tagen gab es nichts Erfreuliches und kein anderes Thema als dieses eine.
„Morgen wird es wohl entschieden, Voldemort wird des Wartens überdrüssig sein.“ Alastors Grübeleien wurden jäh von den düsteren Worten seines Freundes unterbrochen.
„Des Wartens überdrüssig?“, echote der Auror höhnisch. „Er hätte uns schon längst zerschmettern können, aber er will uns elendig krepieren sehen; er will sehen, wie wir an unseren eigenen Ängsten ersticken, Albus! Lass nicht zu, dass es so endet! Ruf die Kämpfer auf! Noch ist die Sache nicht verloren! Wir ...“.
Das resignierte Kopfschütteln Dumbledores ließ ihn innehalten. „Es ist gut, Alastor.“, der alte Mann sprach gütig, wie mit einem störrischen Kind. „Unsere Sache ist verloren und welche Kämpfer sollte ich noch zu den Waffen rufen, es gibt niemanden mehr, der wirklich kämpfen könnte.“ „Albus, weißt du was du da sagst?“, fragte Moody, fassungslos von den Worten seines Freundes.
„Du verleugnest die, die an dich glauben, die, die für dich kämpfen, die, die ihr Leben für dich gaben und die, die es noch tun werden! Was soll das heißen, es gibt keine Kämpfer mehr? Was ist mit den Weasleys, mit dem jungen Potter, Minerva, Hagrid, Severus, oder mir?“, er schrie die letzten Worte und musste erschöpft nach Luft schnappen.
Dumbledore wartete ruhig, bis der Ausbruch abgeklungen war und hob dann zu sprechen an: „Bei dir, alter Freund, bin ich mir nicht sicher. Du würdest dich wohl eher in Stücke reißen lassen, als dein Haupt zu beugen. Die Weasleys, nette Leute, aber als Kämpfer unbrauchbar. Harry, ja, er vielleicht noch, doch ist er zu unerfahren. Minerva, mutig, aber schon zu alt. Hagrid, er ist stark, aber auch ein Riese unterliegt, wenn er allein gegen hundert steht.
Severus ... er ist nicht mehr er selbst seit dem letzten Kampf. Fast glaube ich er ist zerbrochen, als er ihn tötete. Ich sah, wie er versuchte mit ihm zu reden, mitten auf dem Schlachtfeld, dabei wusste Severus genau, dass er dort nicht hinkommen sollte. Voldemort sah die beiden dort und damit ist Severus auch als Spion unbrauchbar geworden.“
Entsetzt, von der Teilnahmslosigkeit mit der diese Worte gesprochen wurden, wich der Auror zurück.
Dumbledore dagegen starrte ihn nur noch mit ausdruckslosem Blick an und wandte sich schließlich wieder dem Fenster zu.
Erinnerung eines Lebens
Der Regen fegte durch die leeren Fensterhöhlen, die nun, lange nachdem das Glas zersprungen war, keine Wärme mehr hielten.
Die eisige Kälte, die der Wind mit sich trug, wehte um den Altar und hinterließ eine dünne Eisschicht auf dem Gesicht des in den Armen seiner Mutter Maria schlafenden Jesuskindes.
Eine kleine Gruppe drängte sich schutzsuchend um den Lichtkreis einer einzigen Kerze, welche kaum die Kraft hatte auch nur den Boden vor ihren Füßen zu beleuchten.
Zwei Gestalten bewegten sich außerhalb dieses Zirkels, kaum auszumachen, selbst, wenn der Blitz das eingefallene Kirchenschiff sekundenlang in grelles Licht tauchte.
Langsam schritten sie, Seite an Seite, auf den Altar zu; keiner sprach ein Wort, keiner bedachte den Gefährten auch nur mit einem Blick; ihre Gesichter, unkenntlich, verborgen von weiten Kapuzen.
Vor dem ehemals prächtig geschmückten Tisch endete ihr Weg; beide hoben die Köpfe und betrachteten das Antlitz der Mutter des Knaben, welcher einst die Seelen der Menschen gereinigt haben soll.
Die Skulptur, aus edlem Holz gefertigt und mit leuchtenden Farben bemalt, war eine hässliche Karikatur ihrer selbst geworden. Das schöne Gesicht, zerschlagen von herabgestürzten Steinen und das farbenfrohe Gewand, von dem sich die Bemalung abschälte, gaben ihr das Aussehen eines verkrüppelten Papageis, der kaum noch Kraft hat sich an seinem Ast festzuklammern.
Langsam hob einer der beiden eine Hand und zeichnete die verbliebenen Gesichtszüge mit langen, dünnen Fingern nach. Seine Hand glitt hinab bis sie, wie zum Segen, auf der Stirn des Kindes ruhte.
Er wandte sich seinem Gefährten zu, der unbeweglich neben ihm stand und dessen gleichmäßige Atemzüge allein verrieten, dass er noch nicht vor Kälte so leblos war, wie die geschnitzte Figur vor ihm.
Die Stimme des Lords klang fast angenehm, wenn er so bedächtig sprach wie nun: „Wie dieser Knabe der Sohn Gottes ist, bist du der meinige.“ Seine Worte wurden vom Geräusch des fallenden Regens fast geschluckt. „Immer habe ich meine Hand schützend über dich gehalten, so wie sie jetzt auf dem Haupt dieses Kindes liegt. Immer habe ich dich den anderen vorgezogen, ... dich und deinen Bruder. Nie hattet ihr mir einen Gefallen versagt, nie meinen Stolz enttäuscht, ... doch nun ist er gefallen. Gefallen im Kampf für mich, für meinen Traum. Oh Severus, ob du es glauben kannst oder nicht, mein Herz trauert um diesen Verlust. Um den Verlust eines meiner Söhne.“
Er wandte sich wieder der Statue zu und sein Blick verharrte auf dem zerstörten Gesicht. Als er nach einiger Zeit wieder zu sprechen begann bebte seine Stimme und seine bis dato entspannte Hand krampfte sich um den Kopf des Kindes.
„Aber nicht nur sein Tod bekümmert mich, ... es ist die Art, wie er sterben musste. Getötet in der Stunde des Triumphes, meines Triumphes! Getötet vom eigenen Bruder!“
Die letzten Worte, fast geschrieen, schienen seinen Gefährten wie einen Peitschenhieb zu treffen. Seine Beine, inzwischen erstarrt vor Kälte, versagten ihm den Dienst als er zurückweichen wollte und hilflos mit den Armen rudernd stürzte er nach hinten.
Er landete auf einem Gewirr aus sich schlängelnden, rauen Körpern, die sich um seine Arme und Beine wanden und ihn am Boden festhielten.
Das Geräusch von leisen Schritten die auf ihn zukamen ließ ihn seinen sinnlosen Kampf aufgeben und in das Gesicht des Lords blicken, der nun hoch über ihm aufragte.
Doch was er dort sah war nicht das Funkeln des Wahnsinns, der sonst die Augen Voldemorts gefangen hielt, es waren Trauer und Leid und das Wissen nun den Menschen zu töten, der ihm als Letzter noch etwas bedeutete.
Er kniete sich vor ihm nieder und legte eine Hand unter dessen Kinn, in der anderen hielt er eine kleine Phiole.
„Dies ist nunmehr mein letztes Geschenk an dich mein Sohn.“, die Stimme des Lords war nur noch ein Flüstern. „Trink!“
Ohne Widerspruch öffnete Severus den Mund und spürte, wie die warme Flüssigkeit seine Kehle hinabrann. Sie schmeckte süß, ein wenig wie Honig.
Er schloss die Augen und wartete auf den Schmerz. Er wartete drei Sekunden, dann fünf, doch der Schmerz kam nicht. Das einzige was er fühlte war eine angenehme Wärme, die sich langsam in ihm ausbreitete.
Die Augen immer noch geschlossen, sah er nicht, wie sich Voldemort zu ihm beugte. Erst als sein Gesicht von kalten Händen umfasst wurde öffnete er die schwergewordenen Lider.
Er sah kaum mehr als Schwärze, doch fühlte er wie raue, vom Alter runzlige Lippen seine Stirn berührten.
Der Augenblick verging; viel zu schnell, wie ein Dichter nun gesagt hätte, schoss es Severus durch den Kopf, doch das leise Rascheln einer Robe sagte ihm, dass Voldemort sich erhoben hatte. Die vertraute Stimme, die er fast sein ganzes Leben lang gekannt hatte, schien ihm aus einmal so fremd: „Lebe wohl mein Sohn, leider konntest du es nicht in meiner Welt.“
Leise Schritte entfernten sich und bald spürte er, dass er allein war. Müde ließ er sich zurücksinken und bemerkte zu seinem Erstaunen, dass es kein lebendes Geschöpf war, das sich um ihn wand und festhielt, sondern bloß dickes Tauwerk, in dessen Schlingen er sich verfangen hatte. Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, als eine alte Erinnerung wieder erwachte. Seinen rebellierenden Muskeln zum Trotz stemmte er sich noch einmal hoch und befreite Arme und Beine. Als die Arbeit getan war, rollte er sich erschöpft zusammen und spielte noch mit dem Seil, bis auch dies zu anstrengend wurde und er endlich einschlief.
Erinnerung der Jugend
„He Sev, hast du’s?”, flüsterte eine aufgeregte Jungenstimme aus dem Gebüsch vor ihm.
„Ja, massenweise. Der Alte wird sich morgen ganz schön wundern, wo seine Taue geblieben sind.“, kicherte der kleine Junge und zwängte sich mit seiner Last durch die dichte Hecke. Auf der anderen Seite angekommen setzte er sich neben seinen Freund und fing an das Knäuel aus unterschiedlichsten Seilen zu entwirren. „Weißt du wie man das richtig knotet?“, fragte er seinen Freund, der schon begann die entwirrten Seile zu verknüpfen.
„Hi hi, ne du, nicht wirklich.“, schmunzelte dieser. „Aber es wird schon halten.“ Beide lachten leise und rückten in der kühlen Nachtluft enger aneinander.
Eine Zeit lang arbeiteten sie still weiter und genossen das Gefühl des Abenteuers.
„Du Sev, ich glaub das ist lang genug.“ Beide hielten inne und betrachteten ihr Werk.
„Stimmt, hast recht.“ „Ha ha, schau mal, wie schief das ist. Hoffentlich hält’s auch.“
„Muss halten!“, sagte der kleine Junge gespielt ernst, aber plötzlich verdüsterte sich seine Miene. „Ich bin auch doof.“ „Was ist denn?“ „Wir haben zwar jetzt ne Leiter, aber wie machen wir sie oben fest? Wir haben doch keine so großen Nägel, so was gibt’s hier nicht.“ Beide schauten zu einer reichlich abenteuerlich aussehenden Konstruktion etwa drei Meter über ihren Köpfen auf. Das Etwas entpuppte sich bei genauerer Betrachtung als windschiefes Baumhaus. Es lag gut versteckt zwischen den mächtigen Ästen einer uralten Eiche in einem entlegenen Winkel der Ländereien um Hogwarts.
„Ich weiß wie! Sev, du bleibst hier, ich komme gleich wieder!“ Verdattert stand der Junge alleine da und starrte auf die Hecke, durch die sein Freund eben verschwunden war. Schnell zwängte auch er sich durch das Gestrüpp, konnte aber nur noch sehen, wie sein Freund auf dem Weg zum Schloss von einem Schatten zum nächsten rannte. Einholen konnte er ihn auf diese Entfernung nicht mehr und auch zum Rufen war es zu weit, so blieb ihm nichts anderes übrig, als zu warten.
Inzwischen war schon eine gute Viertelstunde vergangen, als er begann sich ernsthaft Sorgen zu machen. Was, wenn man ihn erwischt hatte? Er wünschte sich ernsthaft dem Hausmeister wiedereinmal ein Schlafmittel untergemischt zu haben, aber sie hatten für heute Nacht keine Aktion im Schloss selbst geplant und es deshalb unterlassen. Nach weiteren fünf Minuten, die ihm wie eine Ewigkeit vorkamen, faste er gerade den Beschluss sich auf die Suche zu begeben, als er das Rascheln von Blättern und schnelle, keuchende Atemzüge hörte.
Bald darauf krabbelte, zu seiner großen Erleichterung, sein Freund aus dem Gebüsch hervor. Keuchend ließ er sich neben ihn fallen und hielt triumphierend zwei lange, metallisch aussehende, fast fingerdicke Stäbe in die Höhe. „Na, wie gefallen sie dir? Die sind doch perfekt, oder?“, fragte er. „Klasse!“, erwiderte der Junge und fischte nach einem der Stäbe. „Die sind goldrichtig, aber, was zum Henker ist das? Nägel sind’s keine.“
Ein spitzbübisches Grinsen breitete sich im Gesicht seines Freundes aus. „Ach das ... das sind die gefürchteten Waffen eines unserer Lehrer.“ „Häh?“ Das Grinsen wurde immer breiter. „Es sind zwei von McGonagalls Haarnadeln. Furchteinflößend die Teile, oder?“
Eine Weile starrte er seinen Freund nur ungläubig an. Dann brachen beide in schallendes Gelächter aus. Immer noch glucksend rappelten sie sich schließlich auf und machten sich daran ihr Werk zu vollenden.
„Du kletterst rauf und machst die Leiter oben fest, ok?“, sagte der Junge und hockte sich vor seien Freund. Dieser stieg vorsichtig auf seine Schultern und versuchte das Gleichgewicht zu halten, als der Junge sich mühsam soweit aufrichtete, bis der andere einen der untersten Äste greifen konnte. Dies war bis jetzt der einzige Weg zu ihrem Versteck und die beiden waren ihn inzwischen mehr als leid; besonders, da auch noch den zweiten Mann hochzukriegen die reinste Zirkusnummer war. Doch schon nach kurzer Zeit, ein paar Hammerschläge und zwei gemurmelte Zaubersprüche später, entrollte sich von oben der neue Eingang zu ihrem Heim. Etwas mulmig war dem Jungen schon, als er die Konstruktion aus unterschiedlichsten Seilen und Knoten begutachtete, die da vor ihm baumelte. Doch nach einmal kräftig schlucken machte er sich daran hinaufzuklettern und bald saßen beide eng aneinandergekuschelt in ihrer Enklave und betrachteten die Sterne, die durch das Blätterdach funkelten.
Der Junge war schon fast eingeschlafen, als eine Bewegung seines Freundes ihn wieder hochschrecken ließ. „Was machst du denn da?“, flüsterte er und rieb sich den Schlaf aus den Augen. „Warte kurz. Und mach die Augen zu!“, erwiderte sein Freund, der anscheinend versuchte irgendetwas kleines zu öffnen. Der Junge gehorchte verdutzt und spürte kurz darauf, wie ihm etwas um den Hals gelegt wurde.
„Jetzt mach die Augen auf.“ Er öffnete sie und tastete nach dem, was ihm da umgelegt wurde. Es war eine Kette mit einem Anhängerund als er sie anhob erkannte er einen niedlichen, kleinen Drachen, der sich zu einer kleinen Kugel zusammengerollt hatte und ihn lustig anblinzelte. Noch eine ganze Weile lang betrachtete er das kleine Geschöpf, das ihn immer, egal wie er es drehte und wendete, so freudig anschaute. Als er schließlich den Kopf hob, bemerkte er das fröhliche Lächeln seines Freundes und, dass um seinen Hals genau die gleiche Kette hing. „Du darfst sie niemals wieder abnehmen, Severus, hörst du! Ab heute sind wir nicht mehr einfach nur Freunde. Ab heute sind wir Brüder und die Kette ist unser Zeichen.“
Der Junge nickte nur und schloss seinen Bruder fest in die Arme. Nach einiger Zeit ließ er ihn los und in stummen Einverständnis kuschelten die beiden sich wieder zusammen und genossen die Stille.
Der Junge lauschte auf die Atemzüge seines Bruders, die schon bald die Gleichmäßigkeit eines Schlafenden annahmen. Er betrachtete das entspannte Gesicht und dachte an seine Ankunft auf dem Bahnhof, wo er es zum ersten Mal erblickte
>Der Junge wurde gerade von seinen Eltern verabschiedet; seine Mutter umarmte ihn, sein Vater schien ihm noch ein paar gute Ratschläge zu geben und Severus wurde daran erinnert, dass er selbst wohl niemals so etwas erleben würde. Er war als Waise hierher gekommen und würde auch als Waise wieder gehen. Kurze Zeit später saß er allein in einem Abteil und blickte gelangweilt aus dem Fenster. Plötzlich hörte er, wie die Tür zu seinem Abteil aufgeschoben wurde. Er drehte sich um und sah zu seinem Erstaunen den Jungen vom Bahnsteig in der Tür stehen. Der Junge lächelte freundlich und setzte sich ohne Zögern auf den freien Platz ihm gegenüber ... <
Der Junge betrachtete noch lange das Gesicht seines schlafenden Bruders, bis auch ihm die Lider schwer wurden und er sich enger an ihn schmiegte.
Kurz bevor er einschlief, drehte er noch einmal seinen Kopf und flüsterte dem Schlafenden ins Ohr: „Danke Lucius. Danke für alles.“
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