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Kapitel 8
Dumbledore ließ sich mir gegenüber nieder und schwieg einige Zeit, als wüßte er nicht, wie er anfangen sollte. Dann begann er ruhig zu sprechen.
"Judy und Soleya sind nicht bei Madam Pomfrey."
Ich starrte ihn verwirrt an, doch bevor ich etwas fragen konnte, fuhr er fort.
"Sie sind tot, Severus. Wir konnten nichts mehr für sie tun. Es tut mir sehr leid."
Es dauerte einen Moment, ehe ich den Sinn seiner Aussage erfaßt hatte.
Tot?
Das konnte, das durfte einfach nicht stimmen.
Aber Dumbledore würde über derartige Dinge keine Scherze machen, das wurde mir einige Sekunden später schmerzlich bewußt. Also mußte es wahr sein. Meine Familie war tot.
Eine eisige Hand schien sich um mein Herz zu legen und eine Kälte durchströmte mich, wie ich es noch niemals zuvor erlebt hatte. Ich stellte meine Ellenbogen auf meinen Schreibtisch und verbarg mein Gesicht in den Händen. Sie waren tot.
Plötzlich fiel mir die Anwesenheit Dumbledores ein. Ich hob meinen Kopf ein wenig und sah, wie er mich besorgt anblickte.
"Bitte geh jetzt, Albus", bat ich ihn leise.
Der Direktor nickte nur, dann stand er auf und verließ mein Büro.
Ich blieb alleine zurück, mit der bitteren Erkenntnis, daß ich meine Familie niemals wiedersehen würde.
Judy und Soleya. Sie waren tot.
Tot. Das bedeutete unerreichbar für mich. Für immer verloren.
Nie wieder würde ich Soleya reden hören, nie wieder ihre Wärme spüren.
Nie wieder würde ich Judy lachen oder weinen sehen.
Nie wieder würde sie mir abends, wenn ich nach Hause kam, entgegen krabbeln, um mich als erste begrüßen zu können.
Zu Hause. Gab es so etwas noch für mich?
Hatten diese beiden Personen dieses Gebäude nicht erst zu meinem Heim gemacht?
Nie wieder. Das war ewig. Für immer. Ohne sie.
Das würde ich nicht aushalten. So konnte ich nicht mehr leben. Nicht nachdem ich ein Leben mit ihnen, mit einer Familie, mit jemanden der mich liebte, mich annahm, wie ich war und sich ehrlich um mein Wohl sorgte, nachdem ich so ein Leben kennengelernt hatte.
Tot.
Mitten aus dem Leben gerissen.
Sie hatten doch noch soviel vor, wir hatten doch noch soviel vor.
Wir hatten Pläne.
Judy hatte noch nicht einmal das. Und nun würde sie niemals welche schmieden können.
Was hatten sie ihnen getan?
Nichts.
Sie wollten nur leben, nur glücklich sein, doch die Chance darauf wurde ihnen genommen. Genommen von einem Monster, das für solche Ziele kein Verständnis hatte. Dem es nichts ausmachte, unschuldige Menschen zu töten. Selbst dann nicht, wenn sie ihr ganzes Leben noch vor sich hatten, wie Judy.
Wut stieg in mir hoch, schwoll immer weiter an und bahnte sich schließlich einen Weg hinaus.
"Du Bastard! Du elender Bastard!", schrie ich und wischte mit einem Schwung meines Armes die Papiere und Gegenstände von meinem Schreibtisch. Ich sprang auf und stieß dabei den Tisch mit aller Kraft von mir, so daß er umfiel. Dann nahm ich den Stuhl, auf dem ich bis eben gesessen hatte und schleuderte ihn an die Wand. Dort traf er auf die Regale in denen ich die verschiedensten Dinge in Gläsern eingelegt und gesammelt hatte. Ein lautes Klirren und Brechen erfühlte den Raum, als sie zu Boden fielen und zerbrachen.
"Warum hast du das getan? Warum?", brüllte ich.
Dann griff ich mir den nächstbesten Gegenstand. Es war ein Buch. Dieses schmiß ich gegen die andere Wand. Der Inhalt einiger Dutzend Reagenzgläser ergoß sich zischend über den Steinboden meines Büros.
"Sie haben dir doch nichts getan!"
Ich nahm mir den zweiten Stuhl und begann mit diesem auf den Tisch und die Regale ein zu dreschen. Schließlich lehnte ich mich erschöpft an die kalte Wand und sackte an ihr zu Boden.
"Sie haben dir doch nichts getan", flüsterte ich und vergrub mein Gesicht erneut in den Händen.
Die Wut war aus meinem Körper gewichen und hatte nur unendliches Entsetzten und Trauer
hinterlassen. Ich merkte nicht, wie die verschütteten Tränke Löcher in meinen Umhang brannten. Statt dessen schloß ich verzweifelt meine Augen, in der utopischen Hoffnung, das alles nur ein Alptraum wäre und ich gleich zu Hause neben Soleya aufwachen würde.
Aber ich wußte, daß dies nur Wunschdenken war. Meine Familie war tot.
Und ich war allein.
Erzählt von Albus Dumbledore:
Vorsichtig stieg ich die Treppen zu den Kerkern hinab. Die Sonne stand bereits tief am Himmel und durch die kleinen Fenster wurden die Gänge nur sehr spärlich erleuchtet.
Endlich erreichte ich den Eingang zum Büro von Professor Snape.
Ich klopfte, aber niemand antwortete. Meine Beunruhigung wuchs und ich öffnete vorsichtig die schwere Holztür. Ich betrat den Raum und erschrak.
Im sanften Dämmerlicht erblickte ich eine Trümmerlandschaft. Der Schreibtisch des Professors war umgefallen, Stühle waren zerbrochen. Der Steinboden war übersät mit Glasscherben und anderen Resten der Einrichtung, alles war bedeckt von einer rauchenden Suppe verschiedener Zaubertränke.
Einen Moment lang glaubte ich, Snape wäre nicht in diesem Raum, dann entdeckte ich ihn. Er saß zusammengesunken an einer Wand und hatte sein Gesicht in den Armen verborgen.
Mit einem Wink meines Zauberstabes entfernte ich die Flüssigkeiten am Boden, dann ging ich zu ihm hinüber.
"Severus?", fragte ich leise.
Unendlich langsam hob er seinen Kopf und sah mich an. Ich packte seinen Arm und zog ihn auf die Beine. Dann stellte ich den Tisch auf und reparierte die Stühle. Ich setzte ihn in einen davon und mich selbst in den zweiten.
"Severus, es müssen noch einige Dinge geklärt werden."
Ich war mir nicht sicher, ob er meine Worte verstanden hatte, denn er starrte weiter auf einen Punkt vor ihm auf dem Tisch. Als ich ihn jedoch fragte, ob ich besser morgen wiederkommen sollte, schüttelte er den Kopf und so fuhr ich fort. Vielleicht war es gut, ihm etwas zur Beschäftigung und somit zur Ablenkung zu geben.
"Die Verwandten und Freunde müssen informiert werden. Am besten durch eine Anzeige im Tagespropheten und Briefe an die engsten Bekannten. Außerdem muß die Beerdigung organisiert werden. Wenn du willst, kann ich dir dabei helfen."
"Nein. Ich werde das alleine machen", antwortete Snape und fügte dann mit leiser Stimme hinzu: "Wo sind sie jetzt? Ich meine Judy und Soleya?"
"Sie sind im Gemeindehaus in Hogsmeade aufgebahrt worden. Ich dachte, das wäre das Klügste. Du kannst morgen zu ihnen gehen und dich verabschieden."
Einen Moment lang blickte Snape zu Boden, als würde er um seine Fassung ringen, dann nickte er zustimmend. "Danke, Albus. Was die Beerdigung angeht, werde ich Pastor Munser bitten, daß er die Trauerrede hält. Er kannte Soleya und Judy gut. Ich denke, meine Frau hätte das so gewünscht."
Seine Stimme war, während er redete, immer leiser geworden, bis es zum Schluß nur noch ein Flüstern gewesen war. Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann sprach er weiter. "Ich werde ihm gleich eine Eule schicken. Auch dem Tagespropheten und ihren Verwandten."
"Ist gut", antwortete ich und erhob mich.
In der Tür drehte ich mich noch einmal um. "Gute Nacht, Severus."
Snape nickte und ich verließ das Zimmer, schloß die Tür hinter mir und machte mich auf den Weg zur Krankenstation. Nachdenklich wanderte ich durch die dunklen Flure.
Professor Snape hatte schlecht ausgesehen. Noch bleicher als gewöhnlich. Und seine Augen schienen jeden Glanz verloren zu haben. Sie waren erfüllt von Verzweiflung und Schmerz. War das ein Wunder? Bei dem, was passiert war? Sicherlich nicht.
Ich erreichte das Büro der Heilerin und trat ein.
Madam Pomfrey saß an ihrem Schreibtisch und blickte erstaunt auf. "Ach Sie sind es, Albus! Was kann ich für Sie tun?", fragte sie.
"Es geht um Professor Snape. Ich denke es wäre das beste, wenn Sie ihm heute abend einen Schlaftrank vorbei bringen würden. Natürlich hat er selbst auch welche, doch ich bezweifle, daß er sie von sich aus nimmt", antwortete ich.
Die Heilerin nickte. "Ich werde ihm den Trank nachher geben."
"Danke. Gute Nacht, Poppy", sagte ich und ging wieder hinaus auf den Flur.
Erzählt von Severus Snape:
Nachdem mich Dumbledore verlassen hatte, saß ich noch einige Zeit an meinem Schreibtisch und starrte in den kahlen Raum.
Sie waren tot. Und ich war allein.
Dann riß ich mich zusammen und lenkte meine Gedanken krampfhaft auf die Aufgaben, die ich zu tun hatte. Ich holte Pergament und Tinte und begann den Brief an den Tagespropheten zu schreiben. Ich versuchte, nicht über den Sinn dessen nach zu denken, was ich als Grund meiner Kontaktaufnahme angab. Es gelang mir nur begrenzt. Dann kam der schwierigste Teil. Der Entwurf der Todesanzeige.
Was sollte ich darin schreiben? Einige Zeit blickte ich starr auf das Papier, bevor ich langsam anfing, einen Text für die Anzeige aufzuzeichnen.
Einen zweiten Brief schrieb ich an den Pastor.
Ich hatte diesen gerade beendet, da klopfte es an der Tür. Wer konnte das jetzt noch sein? Ich wollte keinen Besuch.
Ohne ein "Herein!" abzuwarten, öffnete sich die Tür und Madam Pomfrey betrat mein Büro.
"Guten Abend, Professor Snape", begann sie mit ruhiger Stimme zu sprechen. "Ich bringe Ihnen einen Schlaftrank."
Eine Schlaftrank? Was sollte ich damit?
"Ich habe selbst einige Tränke, die ich nehmen werde, sollte ich dieses für nötig halten", erwiderte ich kurz.
"Natürlich haben Sie selbst welche, aber Professor Dumbledore meinte, ich sollte Ihnen trotzdem diesen Trank vorbei bringen. Und ich soll sicherstellen, daß Sie ihn auch zu sich nehmen. Also trinken Sie ihn nun bitte", erwiderte sie sanft, als wolle sie ein widerspenstiges Kind überreden, etwas zu tun, was dieses zutiefst ablehnte.
"Ich muß noch einige Briefe schreiben und abschicken", versuchte ich erneut sie abzuwimmeln. Konnte sie mich nicht einfach in Ruhe lassen?
"Tut mir leid, aber ich muß darauf bestehen. Die restlichen Briefe können Sie morgen schreiben und die Fertigen werde ich gleich für Sie in die Eulerei bringen."
Mit diesen Worten stellte sie den Kelch mit der roten Flüssigkeit auf meinen Schreibtisch und nahm die zwei Briefe für den Pastor und den Tagespropheten an sich.
Erschöpft starrte ich auf den goldenen Becher. Ich war in diesem Moment nicht in der Lage, mit der Heilerin zu diskutieren, also widersprach ich nicht weiter und trank den Kelch in einem Zug aus.
Fast sofort begann der Trank zu wirken. Mein Blick verschleierte sich und eine starke Müdigkeit überfiel mich. Ich spürte, wie mich jemand am Arm nahm und in mein Schlafzimmer führte. Dort ließ mich die Person auf meinem Bett nieder.
Als sie versuchte, mein Hemd aufzuknöpfen, wehrte ich sie mit einer Bewegung meiner Hand ab. Mit Mühe öffnete ich meine Augen.
Madam Pomfrey betrachtete mich noch kurz, als wolle sie sehen, ob ich es alleine schaffte, dann verließ sie den Raum.
Ich zog mich um, dann kippte ich in mein Bett und fiel augenblicklich in einen, auf Grund des Trankes, tiefen und traumlosen Schlaf.
Kapitel 9 |