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Gedankenverloren strich ich mit der Hand über den roten Samt. Die Türe ging auf und der Lärm der ins Theater strömenden Zauschauermenge brandete herein. Ich wusste, es wurde langsam Zeit. Sorgfältig legte ich meine Kleidung ab und tauchte in die phantastischen Stoffe meines Kostüms.
Der gelbe schwere Stoff des ersten Kleides umfing mich mit liebkosender Wärme. Darüber fielen nun die roten Falten des Samtüberwurfs, der mit einem schmalen, ebenfalls samtenen Gürtel zusammengehalten wurde.
Ich ergriff die weissen Lederhandschuhe und die Reitgerte und trat aus der stickigen Garderobe ins Freie. Das sterbende Sonnenlicht blendete mich, also hob ich eine Hand um meine Augen dagegen abzuschirmen.
Im heillosen Durcheinander umher eilender Schauspieler, bahnte ich mir einen Weg zur Maske. Lachende Kinder rannten an mir vorbei. Wenn ich meine Schritte nicht beschleunigt hätte, wäre ich umgestossen worden. Alsbald stoppte ich sofort. Eine Reiterhorde in Uniform mit umgegürteten Schwertern trieb ihre Pferde durch die Menge.
Endlich bei der Maskenbildnerin angekommen, trat mir ein hünenhafter Mann in den Weg. Ich hob meinen Kopf und blickte in das bärtige Gesicht von Wilhelm Tell. Mit einem freundschaftlichen Kuss begrüssten wir uns. Als ich dann auf dem Stuhl sass, sorgfältig vermeidend den ganzen Puder einzuatmen, der sich langsam über die Schminke in meinem Gesicht legte, wurde ich immer mehr zum Burgfräulein „Berta von Bruneck“.
Als ich die Augen öffnete, bestand kein Zweifel mehr. Ich war Berta, die Geliebte von Ulrich von Rudenz.
Mit wallenden Gewändern begab ich mich auf den Weg zu den Ställen. Aus den verschiedenen Lautsprechern, die zur Kontrolle des Theaterstücks dienten, klangen die vertrauten Texte aus Baumgartens Rettung.
Noch fünf Minuten.
Langsam aber sicher musste ich mich beeilen. Die Zeit drängte. Abermals begegnete ich der Reiterhorde, die jetzt von der Bühne zurückkehrte. Endlich erreichte ich Stall Nummer 10. Geduldig wartend stand dort ein rabenschwarzes Pferd. Weiss aufgezäumt mit weissem Vorgeschirr und Damensattel blickte es mich aufmerksam an.
„Komm, wir müssen los. Das Publikum wartet.“ flüsterte ich ihm zu. Vorsichtig führte ich das Pferd in den Hof, liess mich von einem Edelmann hinaufheben und ordnete meine Kleidung.
Mit mir würden noch zwei Begleitdamen, wie es sich für ein Burgfräulein gehört, mit auf die Szene reiten. Mit der rechten Hand ergriff ich die Reitgerte, die mir der vorhin besagte Edelmann herauf reichte. Auf ein Zeichen von mir, setzten wir uns in Bewegung.
Diesmal waren es die anderen Schauspieler, die wegen den Pferden zurück wichen.
Mitten im Wald, bei einer Signallampe zügelte ich mein Pferd. Die Aufregung und Anspannung wuchs mit jeder Sekunde die verstrich. Sanft tätschelte ich den Hals meines nervös stampfenden Pferdes.
Da! Das Zeichen! Der Schrei! Die Pferde schnellten nach vorne und in unbändigem Galopp erstürmten wir die Szene.
„Der Schieferdecker ist vom Dach gestürzt!“ schrien einige Männer. Mitten auf dem Platz, auf dem es von Leuten nur so wimmelte, zügelten wir die ungestümen Pferde. Alle Blicke wandten sich uns zu. Bleierne Stille senkte sich über das Geschehen. Die einzige Bewegung, die bebenden Flanken der Pferde.
Bangen Herzens blickte ich hinauf zur Burg. „Lebt er? Rennet, rettet, helft! Wenn Hilfe möglich, rettet! Hier ist Gold!“ es war nicht mehr meine Stimme, die Dies rief. Es war die Stimme längst vergangener Zeit. Die Stimme von Berta von Bruneck.
Der Steinmetz trat ruhig auf mich zu. Ein rebellisches Flackern in seinen Augen.
„Mit Eurem Golde! Alles ist Euch feil um Gold! Wenn Ihr den Vater von den Kindern gerissen und den Mann von seinem Weibe, denkt Ihrs mit Golde zu vergüten!“ Zuerst leise begonnen, wurde seine Stimme langsam zum Orkan. „Geht! Wir waren frohe Menschen, ehe Ihr kamt! Mit Euch ist die Verzweiflung eingezogen!“ Der Steinmetz kehrte mir den Rücken und ging schnellen Schrittes Richtung Burg davon.
Von seinen Worten verletzt und verzweifelt über die Grausamkeiten, die der Landvogt diesen Leuten antat, senkte ich meinen Blick. Nach einem kurzen Moment der Stille, hob ich mit zornigem Funkeln in den Augen meinen Kopf. Der Fluch kam augenblicklich über meine vor Zorn bebenden Lippen. „Oh unglückseliges Schloss! Mit Flüchen erbaut und Flüche werden Dich bewohnen!“ Augenblicklich gab ich meinem Pferd die Sporen und wir preschten in halsbrecherischem Tempo durch die auseinander rennende Menschenmenge.
Atemlos bei den Ställen angekommen brandete uns der Applaus des beeindruckten Publikums durch die Lautsprecher entgegen.
Langsam liess ich mich aus dem Sattel gleiten, tätschelte meinem treuen Pferd den Hals und sagte: „Gut gemacht, mein Freund.“ Eine Art Stolz durchströmte meine Brust, denn mein Pferd war erst vier Jahre alt...
ENDE